Ganz gemäß des Großstadtslangs ihrer Schülerinnen und Schüler hat sich Fellow Carolin vorgenommen, diese für #wildepflanzen zu begeistern. Worum es da geht? Den Jugendlichen ihrer Vorbereitungsklasse die Natur ihrer neuen Heimat näherzubringen. Sie erzählt, wie sie das – Achtung Spoiler – geschafft hat und wie gut auch Wald und Smartphone zusammenpassen.

Yalla, wallah, digga, çüş (gesprochen: tschüsch) –  Jugendslang aus der Großstadt und Worte ferner Länder, aus denen meine Schüler und Schülerinnen nach Oranienburg kamen. Das klingt so gar nicht nach einem großen Interesse daran, die Natur zu entdecken und Bäume zu bestimmen. Kosmos´ Naturführer gilt nicht als „der neuste Shit“. Noch nie habe ich in der U-Bahn den Satz „Boahr, dein Herbarium ist ja nice! Awesome, digga!“ gehört. Hausaufgaben wie Herbarien werden wohl nur auf den Schwarzmärkten der Schulhöfe gehandelt, um mit den Arbeiten älterer Jahrgänge keine Sechs zu kassieren. Wie also den Jugendlichen die Natur näherbringen? Sie dafür begeistern? Nicht weniger als dies hatte ich mir zum Ziel gesetzt. Schüler und Schülerinnen sollten mit allen Sinnen die Schönheit der Natur erfahren und ihre Verantwortung erkennen, sie zu bewahren. Wie also den Hashtag #wildepflanzen in den wilden Jahren der Jugendlichen pflanzen? „Das kann ja heiter werden“,  dachte ich zunächst. „Ach, einfach machen!“, schloss daran an, ebenso wie: „Fake it until you make it.“, „No risk, no fun.“ und viele weitere Phrasen aus der Rubrik „Keep calm and think positive!”.

Nun denn, da bin ich – frisch aus der Teach First Deutschland Sommerakademie und voller Tatendrang, in zwei Jahren Superschülern und –schülerinnen den Schulabschluss und den Glauben an den eigenen Erfolg zu garantieren. Ach ja, und sie als Change-Maker von morgen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu bestärken. Nix leichter als das.

Viel Freiraum für die Planung des NaWi-Unterricht

Noch in den Sommerferien übermittelt mir Andrea, meine Mentorin und Vorgesetzte an der Einsatzschule, ich solle den NaWi-Unterricht übernehmen. Ich habe durch mein Masterstudium und die Arbeit in verschiedenen Umweltorganisationen hinreichend Wissen und Erfahrung, sagte sie. Ich sei geeignet, oder zumindest die geeignetste im Team, wobei sich der Superlativ an dieser Stelle zwar schon durch meine Vorkenntnisse einerseits, aber auch durch den Vergleich und die fehlenden Berührungspunkte der Kolleginnen mit den relevanten Themen andererseits ergibt. Sagen wir, ich fühle mich überfordert? Quatsch! Sagen wir besser, mhh, ich fühle mich geehrt. Das ist insofern besser, als dass es besagtes „positive thinking“ nährt. Viel Freiraum, denke ich. Das ist gut! Das mag ich. Wirklich. Ich liebe es, Ideen frei entwickeln zu können. Zweifel, ob ich hier blindlinks in Richtung Übermut à la „tut nicht gut und schützt nicht vor dem Fall“ laufe? Bestimmt! Aber, wem hilft das jetzt? Gibt es Probleme, finden sich Lösungen. So war es doch immer bisher. Grenzen erspüren und ausreizen. Wird es zu viel, wird es eine Möglichkeit geben, umzuverteilen und anders zu organisieren. Warum also schon zehn Minuten vor dem Hindernis Stop rufen? Also los nun, einfach machen.

Doch als sich herausstellte, dass zu dieser Verantwortung auch das Formulieren des schulinternen Rahmenlehrplanes für die Vorbereitungsklasse gehörte, wurde mir schnell klar, dass es mit einer ordentlichen Portion „Mal eben aus der Hüfte“ nicht getan sein wird. An dieser Stelle sei gesagt, dass es beim Unterrichten in der Vorbereitungsklasse zwar auch um die Wissenvermittlung, viel mehr jedoch um die Sprachvermittlung und um das Ankommen in Deutschland und der deutschen Auffassung eines Bildungssystems geht. Es folgten also die Teilnahme an schulinternen Konferenzen mit Fachlehrer*innen und die Auseinandersetzung mit bestehenden Lehrplänen, um die Kids durch einen Rundumschlag in einem bis maximal zwei Jahren in der Vorbereitungsklasse so gut wie möglich auf den Übergang in die Regelschule vorzubereiten.

Blatt, Blüte, Frucht

Nach einer kurzen Phase des Wortschatztrainings über Wetter und Jahreszeiten, um auch für den kühnsten und abgebrühtesten Smalltalk in Deutschland gewappnet zu sein, erarbeiteten wir die Bestandteile eines Baumes. Blatt, Blüte, Frucht. Stamm mit Rinde, Baumkrone und Wurzel. Spannender noch die Frage, welche Bäume denn nun hier im neuen Heimatland wachsen. Spannender für mich zumindest. Doch lag es nun an den teils unbekannten Arten im neuen Heimatland oder nicht, die Freude am Blättersammeln und -pressen packte auch meine Schüler und Schülerinnen. Wie kleine Meisterdetektive blätterten sie in Kosmos´ Naturführern, bestimmten hochkonzentriert Pflanze, Blattform und –rand und legten die in meinen Augen weltschönsten Herbarien an. Mit dem Buch „Birke, Buche, Baobab“ verglichen sie Bäume des neuen Heimatlandes mit denen ihrer Herkunftsländern.

Nicht nur das. Auf unserer Grunewald-Expedition stromerten wir über drei Stunden durch die Ausstellung „Klima. Wald. Berlin.“. Nur um sich das mal auf der Zunge zergehen zu lassen: das sind über ein-hun-dert-acht-zig Minuten. Ohne Smartphone? Berechtigte Frage. Naja nicht ganz. Mithilfe einer App konnten wir diese aber sinnvoll nutzen und digitales Lernen mit einer schönen und einprägsamen Naturerfahrung kombinieren. Making the most of it – ganz am Zahn der Zeit. „Mega“, wie die Kidz sagen würden und von Langeweile keine Spur. Dafür: Strahlende Gesichter an einem sonnigen Novembertag! Der Grunewald hat eine Fläche von über 6000 Fußballfeldern. Das wissen jetzt auch die Kidz. Und, dass es im deutschen Wald keine Tiger gibt. „Wirklich, meine Lehrerin? Sag Wallah. Wallah heißt: ich schwör´.“, fordert Mohammed. „Wallah! Im deutschen Wald gibt es keine Tiger!“, sage ich, um meinen Jugendslang aufzufrischen. Auf der Rückfahrt schaut Deliah aus dem Fenster: „Guck mal, eine Birke!“. „Yes! Mission completed!“, denke ich.

 

 

 

 

Autorin: Carolin Ahlers ist Fellow der Klasse 2017 an der Libertasschule Löwenberg am Schulstandort Oranienburg. Sie unterrichtet unter anderem in der Vorbereitungsklasse Deutsch als Zweitsprache. Studiert hat sie Nachhaltigkeitswissenschaft und Sozialmanagement.