Briefe schreiben, Brieffreundschaften… ist das nicht etwas aus dem letzten Jahrhundert, etwas, wovon im besten Fall die Eltern erzählen? Und auf Papier schreiben: Klingt das nicht langweilig, weil man doch heutzutage alles digital machen kann? – Nein, dachten wir uns! Wir, das sind Ann-Christin Krohn, Jens Becker, Ida Kretschel, Leonie Krug und Johanna von Hammerstein, fünf Fellows aus Hamburg. Briefe schreiben ist retro und muss nur wieder als etwas Cooles präsentiert werden.
Ende März auf einer digitalen Teach First Deutschland Fortbildung: In der morgendlichen Kaffee-Check-In Runde erzählt jemand von einem geplanten Brieffreundschaftsprojekt in NRW. Die Idee stößt auf Begeisterung und wir fünf Fellows aus dem Programm Sicherer Übergang zögern nicht lange, um beimgemeinsamen Ausklang der Fortbildung die Aktion konkreter zu planen. Schließlich wirken die Schülerinnen und Schüler im Wechselunterricht immer gelangweilter von der Flut an Arbeitsaufträgen und Arbeitsblättern. Gleichzeitig scheinen sie sich in der langen Homeschoolingphase nach etwas Abwechslung zu sehnen und soziale Kontakte sind in dieser Zeit rar gesät…
Schnell wird ein Projektname gefunden: „BrieffreundscHHaften“. Denn am einfachsten und schnellsten kann die Aktion in der eigenen Stadt umgesetzt werden. So können die Kinder und Jugendlichen Kontakte zu anderen Stadtteilen knüpfen,außerdem können wir auf das Ziel eines persönlichen Treffens am Ende des Schuljahres hinarbeiten. Schnell ist ein Projektantrag für die Haniel Stiftung geschrieben und erfreulicherweise ebenso schnell bewilligt. Die Finanzierung steht – Anfang April geht es also in insgesamt sieben Kursen an fünf Stadtteilschulen in den Jahrgängen 8 und 9 los!
Das Interesse bei den Kids ist schnell geweckt, als sie erfahren, dass sie sich im nächsten Schritt eigenständig Brieffreund*innen auf den Padlets der anderen Schulen aussuchen dürfen: „Boa cool, die kommen aus Poppenbüttel, da habe ich früher auch gewohnt“

Im ersten Schritt erstellen die Schülerinnen und Schüler Steckbriefe auf einem Padlet, um gegenseitig u.a. von ihren Lieblingsdönersoßen, ihren Superkräften oder ihren Traumschulfächern zu erfahren. Das Interesse bei den Kids ist schnell geweckt, als sie erfahren, dass sie sich im nächsten Schritt eigenständig Brieffreund*innen auf den Padlets der anderen Schulen aussuchen dürfen: „Boa cool, die kommen aus Poppenbüttel, da habe ich früher auch gewohnt“ oder „Ich darf mir das selber aussuchen? Wie cool!“. Außerdem motivieren Gemeinsamkeiten bei Hobbys oder dem Heimatland , sowie die Chance, das Padlet als Datingplattform zu nutzen. Dadurch sind beim Texten als auch im Gestalten der Briefe zu beobachten, die bisher im Unterricht noch nicht zum Vorschein kamen.
Dann werden die ersten Briefe geschrieben und die Schülerinnen und Schüler lernen, wie ein Brief aufgebaut ist: Anrede, Datum, Grußformel, Verabschiedung etc. Sie können das Gelernte im selben Moment mit Realitätsbezug anwenden. Dann geht es an den Inhalt des Briefs. „Frau Krug, was soll ich schreiben…?“ Und wie beschriftet man eigentlich einen Briefumschlag? Gar nicht so einfach! Gleichzeitig vernehmen die Fellows erstaunte Rufe, als die Kids erfahren, dass die „80“ auf der Briefmarke für die Kosten steht. Jens ist ganz begeistert von einem Schüler, der plötzlich ohne zu zögern einen freien Text schreibt, womit er sich sonst sehr schwertut und meist sogar die Deutschaufgaben komplett verweigert.

Wenn endlich ein Brief angekommen ist, leuchten die Augen. Schnell bildet sich eine Traube um die Glücklichen, um den Brief mitzulesen. Und die ersten Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten: „Haha, was schreibt die denn? Die ist ja richtig frech!“.
In der nächsten Stunde ist die Aufregung groß, als z.B. Leonie oder Ann-Christin die ersten Briefe in den Händen halten. „Darf ich aufmachen?“, ruft ein Schüler aus der letzten Reihe. Gespannt werden die Briefe geöffnet: „Wow, der ist richtig cool, Frau Krohn, mein Traumbrieffreund!“. Aber nicht alle Reaktionen sind positiv: „Oh Mann, Frau Krohn… Ich habe mir so viel Mühe beim Schreiben meines Briefes gegeben und jetzt bekomme ich nur so einen kurzen Brief zurück.“. Verständnisvoll erklärt Ann-Christin in der Situation, dass es manchmal so im Leben ist und man enttäuscht wird, dass das aber kein Grund zum Aufgeben ist.
Ab jetzt beginnt jede Deutschstunde so: „Machen wir heute mit den Briefen weiter?“/ „Frau Kretschel, haben Sie heute einen Brief für mich dabei?“. Wenn die Antwort nein lautet, ist die Enttäuschung groß: „Ich warte jetzt schon 2 Wochen!“. Aber wenn endlich ein Brief angekommen ist, leuchten die Augen. Schnell bildet sich eine Traube um die Glücklichen, um den Brief mitzulesen. Und die ersten Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten: „Haha, was schreibt die denn? Die ist ja richtig frech!“. Dann geht es ans Antworten. Und plötzlich ist Rechtschreibung gar nicht so uninteressant: „Frau von Hammerstein, können Sie mal gucken, ob ich das so richtig geschrieben habe?“, „Wie schreibt man eigentlich ‘Hobby’?“. Auch Schönschrift ist auf einmal cool und so werden Briefe vor- und bis in die Pause hinein sorgfältig abgeschrieben, Blankopapier wird abgelehnt: „Nee, ich nehme lieber liniertes Papier, sonst schreibe ich so krakelig!“.
Mittlerweile dürfen die ersten Schülerinnen und Schüler ihre Briefe selbstständig in den Briefkasten werfen und übernehmen somit die Verantwortung für ihre BrieffreundscHHaft.
Wir Fellows hoffen, dass es im nächsten Jahr weitergeht. Eins ist auf jeden Fall klar: Es war eine sehr positive Erfahrung für alle Beteiligten: Fellows, Schüler*innen und Kolleg*innen zugleich.