Die Ergebnisse der PISA Sonderauswertung „Erfolgsfaktor Resilienz“ vom 29. Januar 2018 zeigen, dass der Anteil Jugendlicher aus einkommensschwachen Familien, die in der Schule erfolgreich sind, in Deutschland seit 2006 stark gestiegen ist. Ein Anlass zur Freude, aber kein Grund zum Ausruhen – vor allem nicht, weil diese Verbesserung an Schulen gewachsen aber nicht politisch herbeigeführt worden ist, sagt unser Geschäftsführer Ulf Matysiak. Er zeigt auf, welche Schlüsse die Politik aus den Ergebnissen der Studie ziehen kann.

Zunächst müssen wir sagen: Die Sonderauswertung der PISA Ergebnisse zeigt einen erfreulichen Trend. Dass der Anteil resilienter Schülerinnen und Schüler von einem Viertel auf ein Drittel gestiegen ist, zeigt, dass auch Jugendliche aus einkommensarmen Familien im Bildungssystem erfolgreich sein können – und dass die Grundlagen für diesen Erfolg erlernbar sind. Die Studie zeigt darüber hinaus, dass diese Erfolge, zur Überraschung einiger, nicht viel mit der Ausstattung der Schulen und der Größe der Klassen zu tun haben.

Dennoch: Es bleiben zwei Drittel der Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien, die die Auswirkungen ihrer Benachteiligung nicht überwinden und in der Schule nicht die notwendigen fachlichen und Problemlösekompetenzen erwerben, um anschlussfähig in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Das sollte uns nach wie vor alarmieren.

Vor allem deshalb, weil die vorliegenden Ergebnisse aus PISA nicht den Erfolg geplanter Anstrengung des Bildungssystems widerspiegeln. Vielmehr sind sie eine Bestätigung für die Arbeit einzelner Schulen, engagierter Schulleitungen und motivierter Lehrkräfte, die anders arbeiten. Deswegen lohnt es sich, herauszuarbeiten, wie wir mehr Schulen und Lehrkräfte unterstützen können, diese Art des Arbeitens zu fördern.

Die Studie benennt vor allem zwei Faktoren, die es einkommensschwachen Schülerinnen und Schülern ermöglichen, den Umständen zum Trotz erfolgreich zu sein: Ein positives Schulklima mit wenig Lehrerfluktuation sowie das Lernen in sozial gemischten Gruppen – also im Nebeneinander von Kindern aus armen, Mittelstands- und wohlhabenden Familien.

In einem solchen Umfeld passieren zwei Dinge: Lehrkräfte haben Zeit, persönliche Beziehungen zu Jugendlichen aufzubauen. Diese werden dadurch selbstbewusster, motivierter und leistungsstärker. Und Lehrkräfte können Jugendliche lückenloser begleiten, Informationen teilen und ihnen als Team helfen, den nächsten Schritt zu nehmen.

Die Studie macht Mut, denn sie zeigt auf, dass Schülerinnen und Schülern auch an Brennpunkten zielgerichtet zu einer gelingenden Bildungsbiographie verholfen werden kann.  Aus den Ergebnissen lassen sich fünf Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik ableiten.

  1. Eine Extraportion Zeit, jetzt. Nur starke Lehrkräfte sind Erfolgsgaranten für die Entwicklung, die wir in PISA sehen. Und dazu gehört: Lehrkräften die Extraportion Zeit geben, die sie brauchen, um Beziehungen zu Schülerinnen und Schülern aufzubauen und zu pflegen. Das darf nicht zischen Tür und Angel passieren, dafür müssen Zeitreserven in ihren Deputaten vorgehalten werden.
  2. Gute Arbeitsbedingungen und Spezialisierung für Lehrer an Brennpunktschulen. Langfristig müssen wir anerkennen, dass die Anforderungen der Lehrer an Brennpunktschulen andere sind. Deswegen müssen sie gezielt eine andere Aus- und Weiterbildung erhalten. Das könnte ähnlich aussehen wie bei Fachärzten: Diese spezialisieren sich nach der Grundausbildung, während sie bereits arbeiten. Analog müsste es die Möglichkeit geben, sich in der dritten Phase der Lehrerausbildung, also nach dem Referendariat, eine Spezialisierung zu erwerben, die abgestimmt ist auf den Schulstandort. Gleichzeitig müssen die Arbeitsplätze für Lehrkräfte gerade in Brennpunkten attraktiv sein. Die Studie zeigt eindeutig, wie wichtig eine geringe Fluktuation für das Gelingen von Schule ist – gerade in sozialen Brennpunkten leiden alle Beteiligten unter einer stetigen Abwanderungsbewegung in den Kollegien. Hier können durch finanzielle Boni, gut ausgestattete Arbeitsplätze und flexiblere Arbeitszeitmodelle Anreize geschaffen werden.
  3. Ein bundesweites Programm, um Schulleitungen auszubilden. Wir sehen in der Sonderauswertung, dass die Schulleitung eine entscheidende Rolle dabei hat, ein motiviertes Kollegium zu leiten, ein positives Schulklima zu fördern, und mit Eltern und Schulumfeld zusammen ein Unterstützungsnetzwerk für Jugendliche zu schaffen. Um solche Schulleitungen zu fördern müssen wir stärker in ihre Qualifizierung investieren – und zwar nicht punktuell, sondern in Form einer planmäßigen Weiterqualifizierung, am besten auf Bundesebene. Schulleitungen müssen in die Lage versetzt sein, ihre Schulen gut und motiviert zu führen. Dazu gehört im Übrigen auch, dass ihre eigene Unterrichtsverpflichtung auch an Grundschulen entscheidend verringert wird. Sie müssen mehr Entlastung bekommen, diese Führung auch zu gewährleisten.
  4. Schulen als Dreh- und Angelpunkt des Viertels. Wir müssen weiterhin die Schulen durch sinnvolle schulbegleitende Angebote begleiten und unterstützen. Der Trend, dass Schulen sich stärker öffnen, ist seit zehn Jahren zu beobachten. Mit dieser Öffnung ging der Einzug alternativer und diverserer Unterrichtsmethoden einher. Und Schulen, die sich auf diese Weise auf den Weg machen, sind ein attraktiverer Arbeitsplatz für Lehrkräfte, die Offenheit und Experimentierfreude mitbringen und die gerne mit diversen und heterogenen Lerngruppen arbeiten. Es gibt eine positive Korrelation zwischen motivierten Lehrkräften und Schulen, die gut funktionieren – gerade in sozial diverseren Einzugsgebieten.
  5. Lasst uns über Unterrichtsqualität sprechen. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten zu sehr auf das Für und Wider unterschiedlicher Schulsysteme beschränkt. Wir haben debattiert, ob es die Ganztagsschule geben soll oder nicht; ob es die Gesamtschule geben soll oder nicht. Dabei haben wir die Unterrichtsgestaltung vernachlässigt. Gerade vor dem Hintergrund von Inklusion und Flüchtlingsbeschulung müssen wir ehrlich darüber sprechen, wie Lehrkräfte Unterricht gestalten können, um den Bedürfnissen gerade der schwächeren Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Wir müssen dazu mehr Praxisbeispiele sammeln und zeigen, dass kein Kind Schaden nimmt in einer heterogenen Gruppe – ganz im Gegenteil: Dass sie den schwächeren Schülern hilft und die stärkeren davon profitieren.

 

Die vorliegenden Ergebnisse der PISA-Sonderauswertung haben gezeigt, dass es möglich ist, ein gerechteres Bildungssystem auszugestalten. Und dass es einigen Schulen sogar schon sehr erfolgreich gelingt, Jugendlichen zu helfen, die Benachteiligung zu überwinden, die sie aufgrund ihrer Herkunft haben. Doch daraus erwächst auch eine Verpflichtung. Wenn wir wissen, dass es möglich ist, müssen wir es auch tun.

 

 Autor: Ulf Matysiak ist Geschäftsführer von Teach First Deutschland.