Fellow Lisa unterrichtet in ihrem Einsatz hauptsächlich Mathematik. Wieso Mathe nicht nur für ihre Schüler*innen, sondern auch für sie eine Herausforderung darstellte und wie gut es tut, sich dieser zu stellen, davon berichtet sie in diesem Beitrag.
„Ich versteh das nicht!“, murrt Sara* lautstark vor sich hin und schaut mit zusammengezogenen Augenbrauen grimmig nach unten. „Was verstehst Du nicht?“, frage ich nach. „Na, das hier!“ Sie wischt mit der Hand über ihr aufgeschlagenes Mathebuch, das eine Seite voller Aufgaben zu linearen Gleichungssystemen zeigt. „Ich kann Mathe einfach nicht.“ „Was meinst Du denn konkret?“, hake ich nach. „So kann ich Dir nicht weiterhelfen. Erklär mir bitte, wo genau Du festhängst.“
Dialoge wie diesen mit Sara habe ich in den beinahe eineinhalb Jahren, die ich nun schon als Fellow an der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Köln-Chorweiler arbeite, häufig geführt. Insbesondere in den Mathegruppen, in denen ich unterrichte, sind viele Schüler*innen frustriert. Häufig haben sie Mathe bereits „abgeschrieben“, weil sie glauben, „das eh nicht zu können“.
Challenge – accepted!
Auch ich hatte mir fest vorgenommen, auf keinen Fall Mathe zu unterrichten. Auf dem Gymnasium hatte ich mich irgendwie mit einer 4 durchgeschlagen und Mathe wohlweislich nicht als Abiturprüfungsfach gewählt. Die Rückmeldung meiner Lehrer*innen und Eltern, Mathe sei eben nicht mein Ding, hatte meine eigene Überzeugung, es nicht zu können, gestärkt. Im Studium hatte ich alles, was mit Mathematik zu tun hatte, weitestgehend gemieden.
Als ich dann an meinem ersten Schultag als Fellow mit der Schulleitung über meinen Stundenplan sprach und feststellen musste, dass mich der stellvertretende Rektor fest als Unterstützung für seinen Erweiterungskurs Mathematik in der 10. Klasse eingeplant hatte, wurde mir schummrig. „Ich weiß, dass Mathe nicht Dein Lieblingsfach ist, aber das wird schon klappen“, sagte er. Sollte ich protestieren? Natürlich wollte ich an meinem ersten Tag einen guten Eindruck machen. Und ich dachte daran, was wir auf der Sommerakademie so oft besprochen hatten – beweg Dich aus Deiner eigenen Komfortzone heraus und nimm Herausforderungen an. Plötzlich hatten diese etwas abgedroschen klingenden Worte einen Sinn für mich. Ich atmete also tief durch, lächelte und stieg noch am selben Tag in den Kurs ein.
Mut tut gut
Mittlerweile füllen Mathestunden gut die Hälfte meines Stundenplans. Ich unterrichte sowohl gemeinsam mit anderen Lehrkräften als auch selbstständig in festen Kleingruppen, die parallel zum Unterricht bei der/dem Fachlehrer*in laufen. Und tatsächlich bereitet es mir große Freude. Immer wieder stelle ich fest, dass oftmals die eigene Haltung der Schüler*innen große Blockaden errichtet hat und zu ausbleibendem Lernerfolg beiträgt. Der Glaube, Mathe eh nicht zu können, steht wie ein scheinbar unüberwindbares Hindernis im Weg und verursacht oftmals fehlende Motivation, eine geringe Frustrationstoleranz und Unwillen, es überhaupt zu versuchen. Durch intensive Diagnose, gemeinsame Reflexion und dem Entdecken eigener Stärken kann sich das Lernverhalten vieler Schüler*innen so positiv verändern, dass sich Verbesserungen schulischer Leistungen schnell einstellen. Aber auch die Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen und die Erweiterung sozialer Kompetenzen wie Teamfähigkeit können durch eine intensivierte und individualisierte Betreuung erreicht werden.
Neulich fragte mich Alina*, die seit Beginn in meiner Kleingruppe ist, ob es okay wäre, wenn sie in der nächsten Woche mal wieder zum Unterricht bei ihrem Fachlehrer gehe. Sie hat eine Dyskalkulie, war mit einer 5 in die Kleingruppe gewechselt und erhält seit etwa demselben Zeitpunkt Lerntherapie. Seit rund einem halben Jahr schreibt sie ausschließlich 3en und arbeitet meist intensiv im Unterricht mit. Als ich sie nach dem Grund fragte, antwortete sie mir: „Ich möchte mal schauen, ob ich es da jetzt auch schaffe.“ Ihr Mut hat mich tief berührt und zeigt mir neben ihren fachlichen Verbesserungen, wie sehr sich auch ihr Selbstvertrauen und ihr Glaube an das eigene Können gesteigert haben.
In meiner Rolle als Fellow kann ich notwendige Ressourcen einbringen, die es braucht, um Schüler*innen, die sich in Mathe abgehängt fühlen, wieder an Bord zu holen. Durch ein höheres Maß an Aufmerksamkeit, motivierende und Lernerfolg schaffende Übungen, Lob und Wertschätzung für die individuellen Leistungen, aber auch ausreichend Druck, sind viele von ihnen wieder in der Lage, sich auf das Fach einzulassen und ihre persönliche Herausforderung anzunehmen. Und das hilft nicht nur in Mathe, sondern auch für den Rest des Lebens.
Frust adé
Und Sara? Nachdem wir in einer Kleingruppe die Verfahren zum Lösen linearer Gleichungssysteme noch einmal Schritt für Schritt wiederholt hatten, konnte ich in der nächsten Stunde beobachten, wie sie Aufgabe für Aufgabe selbstständig löste – und lächelte, als ich sie darauf ansprach.
Lisa Nöckel ist seit 2015 Fellow an der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Köln-Chorweiler. Sie unterrichtet hauptsächlich in den Fächern Mathematik und Englisch und wirkt an der Vorbereitung der 10er auf ihre Abschlussprüfungen mit. Sie wird im Wechsel mit anderen Fellows regelmäßig aus ihrem Schulalltag berichten.
* Namen der Schülerinnen von der Autorin geändert.