Noch frisch in unserem Team führte es unseren neuen stellvertretenden Geschäftsführer Wilke Ziemann erst einmal nach Nepal. Unser globales Netzwerk Teach For All findet einmal im Jahr zur Global Conference zusammen, um sich über die Chancen und Herausforderungen im Bildungsbereich auszutauschen, den Blick zu weiten und gemeinsam Lösungswege für mehr Bildungsgerechtigkeit zu erarbeiten. Ein ganz besonderes Erlebnis – Wilke lässt uns an seinen ersten Eindrücken teilhaben.

Lieber Wilke,
erst einmal offiziell ganz herzlichen willkommen bei TFD! Wie geht es dir, nach deinen ersten zwei Monaten in unserem Team?
Vielen Dank, mir geht es sehr, sehr gut! Die ersten Wochen bei TFD waren aufregend und im besten Sinne spannend. Das hängt natürlich mit dem großartigen Team in Berlin und den Regionen zusammen, das ich bereits fast vollständig kennenlernen konnte.
Nach 15 Jahren bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung wechselst Du zu TFD – wow! Wie kam’s?
Ich habe die Entwicklung in der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung 15 Jahre mitgestalten können; in der programmatischen Ausrichtung, in der Personalentwicklung, in europäischen Projekten. Meine vielfältigen Erfahrungen auch außerhalb dieser Stiftung einbringen zu können, hat mich gereizt. Und da kam die freie Position bei TFD einfach zur richtigen Zeit.
Du hast zuletzt als Abteilungsleiter Programme gearbeitet – was ist oder wird die größte Änderung für dich im neuen Job bei TFD?
Zunächst fallen mir eher die Parallelen ein: der Anspruch, Bildungschancen für Kinder und Jugendliche zu verbessern, die regionale Struktur für eine enge Kooperation mit Partnern vor Ort, ein internationales Netzwerk für den Blick über den Tellerrand und nicht zuletzt hoch motivierte Teams in einer für mich passenden Unternehmenskultur. Gleichzeitig freue ich mich, mit dem inhaltlichen Fokus auf Leadership noch einmal viel klarer die Frage zu bearbeiten, wie junge Menschen in der Schule bestmöglich unterstützt werden können – der Ansatz der Fellows ist für mich da einfach ein sehr wirkungsvoller Hebel.
Du kommst gerade frisch aus Nepal wieder – dort hast du bei der jährlichen „Global Conference“ unser globales Netzwerk Teach For All kennen gelernt. Was hattest du vor deinem Besuch erwartet – und inwiefern haben sich die Erwartungen erfüllt?
Eine Reise nach Nepal ist natürlich in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, insofern habe ich mich eher sehr offen darauf eingelassen. Die Kolleginnen und Kollegen aus fast 50 Ländern direkt kennenlernen zu können, hilft natürlich sehr, um den weltweiten Spirit dieses erfolgreichen Ansatzes besser zu verstehen. Teil dieser Treffen sind immer auch Besuche in Schulen des Gastgeberlandes, was mich in die bäuerliche Bergwelt in eine kleine, nach dem Erdbeben wiederaufgebaute Oberschule brachte. Die Gespräche mit Eltern, Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie den Fellows haben mir gezeigt, was durch gute Bildungsarbeit möglich ist. Etwa, dass Mädchen in einer traditionell geprägten Kultur selbstbewusst den Beruf der Polizistin anstreben. Warum? Weil das in ihrem Land gebraucht wird.
Wenn du das globale Netzwerk in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären das?
Visionär in der Zielstellung, dass bis 2040 alle Kinder Chancen auf eine adäquate Bildung bekommen. Geerdet im Wissen über die Herausforderungen der unterschiedlichen Bildungssysteme in ganz diversen Gesellschaften. Neugierig auf die Erfahrungen der Anderen.
Wenn du den Aufenthalt in Nepal in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären das?
…will ich glaube ich nicht 😊
Was war für dich ein besonders schöner, oder auch ergreifender Moment bei deinem Aufenthalt?
Die Begegnung mit einer Bäuerin, die unglaublich stolz auf ihre 14jährige Tochter war, die täglich den langen Fußweg zur Schule auf sich nimmt und daheim das zerstörte Haus der Familie mitaufbaut. Und die davon träumt Profi-Fußballerin zu werden.
So unterschiedlich die Länder, die Schulsysteme, die Herausforderungen und die entsprechenden Organisationen sind – welche Gemeinsamkeiten hast du entdecken können?
Der unbedingte Wille, mit dem Wissen über das jeweilige System an der richtigen Stelle anzusetzen: Junge, hochgebildete, motivierte Menschen bewegen etwas an der einzelnen Schule, zum nachweisbaren Vorteil der Schülerinnen und Schüler, auf jedem (!) Kontinent, auf dem Land wie in der Stadt.
Wie unterscheidet sich deiner Erfahrung nach der Einsatz eines Fellows in Nepal von dem eines Fellows in Deutschland?
Man muss wissen, dass der Wiederaufbau nach dem Erdbeben so etwas wie einen kollektiven Willen ausgebildet hat, etwas für die Gesellschaft zu tun. Konkret gehen junge, akademische Menschen nicht für einen ersten Job ins Ausland, was bisher traditionell der normale Weg war. Stattdessen gehen sie für zwei Jahre an eine Schule, im Regelfall mit fast ein- bis mehrtägiger Entfernung zu ihrer Heimatstadt. Konkret bedeutet das, dass sie sich auf die Arbeit in einer Schule und eben auch auf das Leben in einer neuen Gemeinschaft einlassen. Ich habe dies konkret in einem Dorf gesehen, ohne Geschäft oder Gastwirtschaft, die Schule als einziger öffentlicher Ort. Die Fellows kannten bisher als Studenten das Leben in einer typischen Großstadt wie Kathmandu, mit ihren Freunden, wenig Konventionen in einer multikulturellen Gesellschaft, Nachtleben ebenso wie vielfältigen Bildungszugängen. Von dort aufs Dorf zu gehen, davor habe ich unglaublichen Respekt.
Was nimmst du aus Nepal mit an deinen Schreibtisch in Berlin?
Zurück in Berlin, werde ich neben den vielfältigen pädagogisch-fachlichen Impulsen einer solchen Konferenz vor allem daran arbeiten, wie wir die intrinsische Motivation von jungen Menschen auch in Deutschland noch mehr für die Bereitschaft zum zweijährigen Engagement als Fellow nutzen können. Dazu braucht es gute Rahmenbedingungen, denn die ländlichen Räume in Deutschland sind ja nun doch anders als das Hochland Nepals. Hier freue ich mich auf viele Begegnungen mit Fellows, Schulvertretern ebenso wie Kultusministerien.
Vielen lieben Dank für das Interview, Wilke!
Das Interview führte Leonie Birkholz, Managerin der Kommunikation bei Teach First Deutschland.