Jugendliche über ein Jahr lang für Demokratie zu begeistern und sie für eigenes Engagement zu motivieren – kann das funktionieren? Ja, unsere „Verfassungsschüler“ aus Berlin und Dortmund haben es bewiesen!

Junge Menschen, unabhängig von ihren sozialen, ökonomischen, kulturellen und Bildungshintergründen für Demokratie und politische sowie gesellschaftliche Themen zu interessieren und sie so zu politischer Beteiligung zu motivieren, war Ziel des Modellprojekts „Die Verfassungsschüler“, das gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat in Dortmund von der Stadtteilschule Dortmund e.V. und in Berlin von Teach First Deutschland durchgeführt wurde. Insgesamt nahmen an beiden Standorten über 40 Jugendliche verschiedener Schulen und Schulformen am Projekt teil. Um die Jugendlichen einerseits inhaltlich und methodisch fit und sie andererseits für Teilhabe und Partizipation stark zu machen, gliederte sich das Projekt in zwei Phasen: Zunächst nahmen die Jugendlichen an einem Qualifizierungsprogramm teil, um anschließend in der Aktionsphase selbst aktiv zu werden.

Im Qualifizierungsprogramm von März bis September 2018 wurden die Jugendlichen durch Workshops, Exkursionen und Begegnungen an die Themen Demokratie, demokratische Werte, Gesellschaft und Partizipation herangeführt und so zu „Verfassungsschülern“ ausgebildet. „Hier konnte ich mich mit dem Thema Demokratie identifizieren, was Demokratie überhaupt wirklich in Deutschland bedeutet und wieso sie so relevant ist. Und mir wurde klarer, wie wichtig unsere Grundrechte für das heutige Deutschland sind. Wir wären ohne sie aufgeschmissen“, sagt Maor, 17 Jahre, über seine Erfahrungen im Qualifizierungsprogramm.

Besonders beeindruckt waren die Jugendlichen von den Exkursionen und Begegnungen bei verschiedenen Institutionen und Einrichtungen. So besuchten sie gemeinsam die Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzugs in Spandau Hakenfelde, diskutierten mit Vertreterinnen und Vertretern des Berliner Forums der Religionen aus Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus über das Verhältnis von Staat und Religion, besuchten die Bundespolizeiinspektion am Ostbahnhof, befragten Politikerinnen und Politiker beider Regierungsparteien beim Besuch der Parteizentralen von CDU und SPD in Berlin und kamen mit Vertreterinnen und Vertretern des Bezirks sowie der Schulaufsicht Spandau über ihre Vorstellungen von ihrem „Traum-Spandau“ ins Gespräch. „An den Exkursionen hat mir gefallen, dass uns die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, ernst genommen haben und richtig auf unsere Fragen eingegangen sind“, berichtet Devrim, 16 Jahre.

Ganz offiziell geehrt und ausgezeichnet wurden die Verfassungsschüler im September 2018 im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, wo sie eine Urkunde über ihre Ausbildung erhielten und mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Marco Wanderwitz über zivilgesellschaftliches und politisches Engagement ins Gespräch kommen konnten. „Die Urkundenverleihung war auf jeden Fall ein Highlight für mich. Ich hatte das erste Mal die Möglichkeit, an einer Podiumsdiskussion mit einem Staatssekretär und weiteren Jugendlichen teilzunehmen – und natürlich mal ein Ministerium zu besuchen“, erzählt Maor. Zur Urkundenverleihung reisten auch die Verfassungsschüler aus Dortmund an, so dass sich beide Gruppen kennenlernen und über ihre Erfahrungen austauschen konnten. Gemeinsam besuchten sie dabei den Reichstag und erkundeten das Regierungsviertel.

Bei der Podiumsdiskussion besprachen die Jugendlichen mit Staatssekretär Marco Wanderwitz zivilgesellschaftliches und politisches Engagement.

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Die Urkundenverleihung stellte neben der Auszeichnung für die Ausbildung den Übergang in den zweiten Teil des Projektes, die Aktionsphase dar. Ab Oktober wurden die Jugendlichen selbst aktiv, setzten das Gelernte in die Tat um und fingen an, sich zu engagieren. Ziel: in die eigene Peer-Group hineinwirken und erleben, dass Engagement einen Unterschied macht. Nachdem die Jugendlichen sich intensiv mit ihren eigenen Stärken und Interessen auseinandergesetzt hatten, kristallisierte sich heraus, wer sich wo und wie einbringen wollte. Und das Ergebnis war so vielfältig und spannend, wie es von so motivierten Jugendlichen auch nicht anders zu erwarten war. Sie setzten sich beim DRK Schulsanitätsdienst, in der eigenen Schülervertretung, im Bezirksschülerausschuss, im Schul-Courage-Netzwerk „I am Jonny e.V.“, als Wahlhelfer in Ausbildung für die Europa-Wahl, in der Gemeindearbeit sowie in selbst gegründeten Projekten für Gleichberechtigung, Umwelt in der Nachbarschaft sowie einem eigenen Film über die Verfassungsschüler ein, organisierten Veranstaltungen zum Thema Zivilcourage und boten Workshops für andere Jugendliche im Bezirk an. Angesprochen darauf, wie sie so viel in so kurzer Zeit auf die Beine stellen konnten, sagt Hajara, 15 Jahre: „Jugendliche brauchen irgendwie den Raum oder eine Person, von der sie unterstützt werden bei dem, was sie machen wollen. Weil wir von allein so etwas nicht wirklich machen würden – und das hat im Projekt wirklich geholfen.“ Melis, ebenfalls 15, bestätigt das: „Wir haben vor allem gelernt, wie wir uns politisch richtig engagieren können. Wir sind ja alle daran interessiert, aber man wusste immer nicht so richtig, wie. Es war also sozusagen so ein Einstieg zur Frage: Wie fange ich eigentlich an?“

„Das eine Jahr ist viel zu schnell vergangen, ich weiß gar nicht mehr, was ich montags machen soll“, ergänzt Zahida, 15, und lacht. „Ich bin sehr stolz auf unsere Gruppe und was wir erreicht haben. Ich war selten bei etwas mit so viel Begeisterung und Engagement dabei und ich habe gelernt, dass man immer weiter daran arbeiten muss, wenn man etwas erreichen will. Es ist ein schönes Gefühl, etwas für seine Rechte zu tun.“ Die Jugendlichen wollen sich auch weiterhin in ihren Projekten und Initiativen engagieren und als Gruppe in Kontakt bleiben.

Ende April endete das Modellprojekt offiziell. Über eine mögliche Fortsetzung des Projekts ist Teach First Deutschland derzeit mit den Projektpartnern im Gespräch. Für die Jugendlichen geht es natürlich weiter, denn die Verfassungsschüler wirken nachhaltig: bei selbst organisierten Treffen und in einer aktiven Whats-App-Gruppe werden sie sich über ihre Engagementerfahrungen weiter austauschen.

 

 

 

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Magdalena Strauch (Fellow 2014-2016) setzte das Projekt in Berlin um.