Egal, woher du kommst, deine Geschichte ist wichtig. Unter diesem Motto schreiben dreißig neu zugewanderte Schüler*innen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Rumänien, Polen und weiteren Ländern gemeinsam ein Buch über ihr Ankommen in Deutschland – auf Deutsch. Ankommen bedeutet für sie nicht nur, eine neue Sprache zu lernen, sondern auch ihre Geschichten zu erzählen.
Zohra floh vor knapp einem Jahr mit ihrer Familie aus Afghanistan, weil es dort nicht mehr sicher ist. Antonio war drei Jahre alt, als er von Rumänien zuerst nach Spanien und später nach Deutschland kam, weil seine Eltern keine Arbeit fanden. Zohra besucht jetzt die 5. Klasse, sie ist neugierig, schlagfertig und spielt gerne Fußball. Sie lernt mit Freude Deutsch und kann nach nur einem Jahr dem Regelunterricht schon gut folgen. Antonio fällt das noch schwer. Er spricht ein bisschen Rumänisch, ein bisschen Spanisch, und lernt jetzt seit anderthalb Jahren Deutsch. Seine Stärke ist sein Ehrgeiz, und wenn er Verantwortung übernehmen darf, blüht er auf. Wie viele seiner Mitschüler*innen kämpft auch Antonio mit dem Beginn der Pubertät und wenn ihm in jeder Sprache die Worte fehlen, fliegt auch mal die Federmappe – verstanden.
Ankommen
Seit anderthalb Jahren bin ich Teach First Deutschland Fellow an einer Schule in Düsseldorf. Von Beginn an arbeitete ich hier vor allem mit Schüler*innen mit Flucht- und Migrationshintergrund und allen ist gemein, dass sie so schnell wie möglich Deutsch lernen wollen. Für sie gehört das Erlernen der Sprache zum Ankommen genauso dazu wie Freundschaften zu knüpfen und das Gefühl, dazuzugehören. Bei uns gibt es keine „Willkommensklassen“ oder „Internationalen Vorklassen“, sondern ein teilintegratives Konzept, bei dem die Schüler*innen von Beginn an einer Regelklasse zugeteilt sind. Je nach Sprachniveau besuchen sie zunächst Kunst, Musik, Sport und/oder den Nachmittagsunterricht in der Regelklasse und haben daneben bis zu dreizehn Wochenstunden Sprachförderung. Sobald die ersten Sprachprüfungen erfolgreich bestanden wurden, nehmen die Schüler*innen auch an allen Hauptfächern teil. Für Antonio und Zohra ist das eine große Herausforderung. Sich zu melden, wenn man die Sprache noch nicht fließend spricht, kostet Überwindung. Dabei haben sie viel zu erzählen, denn auch das gehört zum Ankommen.
Mitteilen
Viele meiner Schüler*innen haben Unsagbares erlebt. Gleichzeitig haben die meisten ein starkes Bedürfnis danach, von sich zu erzählen, von ihren Heimatländern, von ihren Wegen nach Deutschland und ihren Familien, von denen manche weit weg sind. Wie die meisten Kinder und Jugendlichen in ihrem Alter möchten sie sich mitteilen. So unterschiedlich Zohra und Antonio ihre ersten Schritte in Deutschland erleben, das Ankommen in der neuen Schule, in der neuen Klasse, auf dem Schulhof – so vielfältig sind die Geschichten der Kinder und Jugendlichen. Gleichzeitig sind sie entscheidend. Wie sehr es uns gelingt, an den Schulen Miteinander, Toleranz und gegenseitiges Verständnis weit über die Sprache hinaus zu gestalten, davon hängt vieles ab. Dazu müssen wir ihre Perspektiven kennen, ihre Geschichten hören und ihnen Raum geben, auch in der neuen Sprache anzukommen. Wie viele Fellows, die täglich mit neu zugewanderten Schüler*innen arbeiten, höre auch ich viele dieser Geschichten – manche von ihnen sind traurig, andere machen Mut.
Mut machen
Letzten Sommer entstand aus diesen Erfahrungen heraus gemeinsam mit den Fellows Marius Runkel und Juliane Seumel die Idee, mit den Schüler*innen ein Buch zu schreiben und damit die Geschichten auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Projekt fördert gleichzeitig die Sprachkompetenzen der Kinder und Jugendlichen, ihren Glauben an sich und ihre Fähigkeiten. Während des ersten Tagesworkshops im Juli lernten sich alle dreißig Schüler*innen kennen, schrieben gemeinsam erste Geschichten und fanden einen Titel für das Buch. „Egal, woher du kommst!“, diese Botschaft muss in die Welt, befanden auch Zohra und Antonio.
„Ich möchte mutiger sein und besser Deutsch können, damit ich mich in meiner Klasse mehr melde“, antwortet Antonio auf die Frage, was er sich vornimmt. Das Projekt soll Schüler*innen wie ihm Mut machen und zeigen, dass ihre Geschichten wichtig sind.
Autorin: Johanna Esch ist Fellow der Klasse 2015 an der Benzenberg-Realschule in Düsseldorf. Sie wird an dieser Stelle regelmäßig über ihren Einsatz berichten und dabei auch den Fortschritt des Buch-Projektes in den Blick nehmen.