Als Fellow im Sprachlehrer-Programm hat Philippa tagtäglich mit einer sehr heterogenen Schüler*innen-Gruppe zu tun. Binnendifferenzierung ist daher ein großes Thema. Sie beschreibt, welche Herausforderungen das im DaF-Unterricht mit sich bringt.

In Diskussionen über Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit wird gerne eine Karikatur als Verbildlichung der Probleme unseres Schulsystems genutzt: Verschiedene Tiere stehen vor einem Lehrer, der ihnen sagt: „Die Aufgabe ist für alle gleich: Klettert auf einen Baum!“ Es ist ganz eindeutig, dass zum Beispiel Elefant, Seehund und Goldfisch ihre ganz persönlichen Fähigkeiten nicht nutzen können, um die gestellte Aufgabe erfolgreich zu lösen. Der Affe ist hier klar im Vorteil!

Übertragen auf den Klassenraum stellt sich für Lehrerinnen und Lehrer die Frage: Wie kann ich die persönlichen Stärken und Interessen meiner Schülerinnen und Schüler in meinen Unterricht einbinden und weiter fördern und wie kann ich auf ihre individuellen Lernbedürfnisse eingehen?

Die magische Antwort lautet: Binnendifferenzierung. Jede Schülerin und jeder Schüler wird als Individuum mit eigenen Stärken, Interessen und Entwicklungsfeldern gesehen. Ziel des Unterrichts ist es, durch unterschiedlich gestaltete Aufgaben die Schülerinnen und Schüler genau dort zu fordern und zu fördern, wo sie persönlich gefordert und gefördert werden müssen, um Lernerfolge zu erzielen und Defizite auszugleichen.

Unterschiede in Herkunft, Alter und Bildungsstand

Doch wie lässt sich diese Methode zur individuellen Förderung konkret umsetzen? Werfen wir mal einen Blick in die Ausgangsbedingungen einer VABO Klasse an meiner Einsatzschule:

Hier lernen Schülerinnen und Schüler aus sieben verschiedenen Ländern zusammen. Sie sind zwischen 16 und 22 Jahre alt und ihre vorherige Schulbildung reicht von wenigen Jahren Schule bis hin zu einem Schulabschluss. Für den Großteil der Schülerinnen und Schüler ist das lateinische Alphabet nicht das Alphabet ihrer Muttersprache. In den Heimatländern einiger Schüler ist Englisch Amtssprache, der Großteil der Schülerinnen und Schüler spricht allerdings kein Wort Englisch. Für die meisten ist Deutsch die erste Fremdsprache – sie kennen also die „typischen“ Methoden des Fremdsprachenerwerbs überhaupt nicht.

Kurz gesagt, Binnendifferenzierung im DaF-Unterricht ist eine Herausforderung! So fängt die Notwendigkeit von Binnendifferenzierung in der Anfängerklasse, in der ich unterrichte, nicht erst beim Gestalten von Aufgaben und Übungen an, sondern schon bei der einfachen Aufforderung: „Lies bitte die Aufgabe 3 auf Seite 76 vor.“ Einige Schülerinnen und Schüler verstehen diese Anweisung nämlich nur, wenn ich die seit Tag 1 genutzte Geste für Lesen/Sprechen benutze, während andere ohne Probleme auch viel komplexere Anweisungen und Aufgaben verstehen und umsetzen können. So muss ich mich bei jeder Anweisung, Erklärung, Durchführung und Besprechung von Übungen sprachlich und inhaltlich auf einem sehr breiten Spektrum mit Blick auf Hörverstehen, Wortschatz, grammatikalischen Strukturen, etc. bewegen, um  alle Schülerinnen und Schüler mitzunehmen. Wie jede DaF-Lehrerin und jeder DaF-Lehrer musste ich also in den letzten Monaten lernen, mich zwei zu teilen, beziehungsweise drei oder vier zu teilen.

Eine tägliche Herausforderung

Beispiel Computerunterricht: Die Schülerinnen und Schüler arbeiten entweder an der Erstellung von Mindmaps zum Thema Essen und Trinken (hier auch mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden) oder bearbeiten die zum Lehrbuch passenden Übungsaufgaben online. Ich gehe von Computer zu Computer und unterstütze die einzelnen Schülerinnen und Schüler: „Frau Fennes, kommst du mal?“- „Frau Fennes, kommen Sie mal?“, verbessere ich und helfe dem Schüler beim Sortieren von Satzgliedern – Das Verb ist immer auf der 2. Position. Zwischendurch buchstabiere ich einer anderen Schülerin das Wort „Pfirsich“. Während die anderen Schülerinnen und Schüler an ihren Aufgaben arbeiten, steht Nadim immer wieder auf, geht ohne Grund zum Mülleimer, setzt sich wieder hin, zerreißt ein Blatt Papier in kleine Stücke, lenkt ständig seinen Sitznachbarn ab und bringt eine allgemeine Unruhe in die Klasse. Ich weiß, dass Nadim sehr viel Aufmerksamkeit braucht – wenn man neben ihm sitzt, arbeitet er über einen längeren Zeitraum ruhig und konzentriert. Doch kann ich mich schlecht nur auf ihn fokussieren, denn auch die anderen Schülerinnen und Schüler brauchen Unterstützung und haben Fragen. Ich versuche, Nadim allein durch meine Präsenz nahe seines Tisches zu zeigen, dass ich ihn sehe und ihm Aufmerksamkeit schenke. So beantworte ich weiter Fragen, buchstabiere Wörter und beobachte gleichzeitig, ob Abdulaziz – einer der stärkeren Schüler – einem Schüler, der noch keine eigenen Sätze formulieren kann, auch wirklich beim Beschriften der einzelnen Obstbilder hilft.

In manchen Stunden klappt das Zweiteilen sehr gut und ich habe das Gefühl, den individuellen Bedürfnissen meiner Schülerinnen und Schülern mit meiner Aufmerksamkeit und Unterstützung gerecht geworden zu sein. An anderen Tagen verlasse ich den Unterricht frustriert, da ich das Gefühl habe, 90 Minuten lang nur „Schadensbegrenzung“ betrieben zu haben und nicht im Stoff vorangekommen zu sein. In solchen Stunden fühle ich mich, als würde ich ständig nur „Nein“ sagen – „Nein, du darfst jetzt nicht auf die Toilette, ihr hattet vor 10 Minuten Pause.“ – „Nein, im Computerraum dürft ihr nicht trinken, das wisst ihr!“ In solchen Stunden fühle ich mich, als würde ich die Schülerinnen und Schüler nur rumkommandieren, statt sie zu ermutigen und sie fürs Lernen zu begeistern – „Nadim, hol bitte dein Buch raus. Du auch, Bereket. Und du auch Tairu. Wo ist dein Buch Nadim, ich hab dich doch gerade geben, es rauszuholen?!“

Erfolgserlebnisse

Doch so kitschig es auch klingt: solch frustrierende Unterrichtsstunden sind schnell vergessen, wenn die Schülerinnen und Schüler am nächsten Tag eifrig und alle einbeziehend an der Tafel bunte Karten mit Dativ- und Akkusativpräpositionen verschiedenen Lückensätzen zuordnen. Hier betreiben sie sozusagen selbst Binnendifferenzierung: „Wo?“ oder „Wohin?“, fragt Abdulaziz einen schwächeren Schüler, der etwas verwirrt auf die „bei“ Karte schaut. „Wo!“. Gemeinsam kontrolliert die Klasse, ob alle Karten auf dem richtigen Platz sind, während ich in der letzten Reihe sitze, die Schülerinnen und Schüler beobachte, und stolz vor mich hin grinse.

 

Philippa Fennes

 

 

 

 

Philippa Fennes ist Fellow an der Kilian-von-Steiner-Schule in Laupheim und erzählt im TFD-Blog regelmäßig von ihrem Einsatz.