David ist ein schwieriger Schüler. Beliebt ist er bei den Lehrerinnen und Lehrern daher eher nicht. Umso weniger vertraut er sich ihnen an. Dabei würde ihm ein besseres Vertrauensverhältnis zu seinen Lehrer*innen in seiner Schullaufbahn helfen können. Denn die sieht trotz seiner Intelligenz nicht rosig aus. Umso mehr hat es Fellow Jacqueline gefreut, dass er sich ihr in ihrem ersten längeren Gespräch anvertraut hat.

In meinen ersten Tagen an der Schule war ich überzeugt, dass ich ewig bräuchte, um das Vertrauen der Schüler und Schülerinnen zu gewinnen. Umso überraschter war ich, dass sie mir doch ziemlich schnell so einiges anvertrauten. So wagte ich es dann auch, David zu einem Gespräch einzuladen. Bisher hatte ich mit ihm neben dem Unterrichtsgeschehen nicht allzu viele Worte gewechselt. Ich erwartete, dass er mich danach ernster nehmen würde. Ich setzte mir auch das Ziel, den Jungen coachen zu dürfen. Überzeugt war ich aber nicht, dass ich dieses Ziel erreiche. Umso überwältigter war ich vom Ergebnis.

Das Gespräch begann locker. Er erwartete wohl eher Ärger. Mich interessierte aber mehr, was in dem Jungen steckt und was er tatsächlich abliefert. Die Diskrepanz war erschreckend hoch. Im Laufe des Gesprächs erzählte mir David Geschichten aus seinem Privatleben. Einerseits keine Bilderbuchgeschichten, andererseits für mich eher der bittere Alltag in solchen Gegenden, in denen meine Schule liegt. Zudem kenne ich solche Geschichten noch zu gut aus meiner eigenen Kindheit. David schien zu merken, dass ich ihn für nichts dergleichen verurteile und dass ich ihm keine Besserwisser-Ratschläge für sein Privatleben mitgeben möchte. Alles, was ich wollte, war das Potenzial dieses Jungen zu fördern. Und so erzählte er mir weiter Geschichten, die er mit dem Satz „Das kann ich den Lehrern hier nicht erzählen“, schmückte. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich weit über mein Ziel hinaus gekommen war – in nur zwanzig Minuten.

Also begann ich mich zu fragen, warum er mir so schnell vertraut, obwohl ich bis dahin beispielsweise noch nicht mal gesagt hatte, dass ich grundsätzlich keine Details dieses Gesprächs preisgebe. Gefordert hatte er es auch nicht. Er hatte es einfach vorausgesetzt. Was also könnte es sein, das so vertrauenserweckend auf ihn und andere Schüler*innen wirkt?

 

  1. Meine Rolle

Jeder Gruppe, die ich übernehme, erkläre ich, dass es meine Aufgabe ist, den Schüler*innen zu helfen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. Ich bin nicht dazu da, ihnen das Leben schwerer zu machen, sondern ein klein wenig einfacher. Das wirkt meist schon Wunder. Wichtig für mich ist aber auch, diese Floskel nicht nur zu sagen, sondern das auch zu leben. Dennoch denke ich, dass das im Prinzip auch die Rolle eines Lehrers oder einer Lehrerin ist. Ohne ihn bzw. sie wäre es als Schüler*in nämlich hart, sich alles selbst beizubringen.

  1. Keine Besserwisser-Ratschläge

Ich bekomme viele Probleme der Schüler*innen mit und rede mit ihnen auch über das, was sie schon können und das, was sie noch verbessern können. Jedes Mal, wenn ich so etwas mitbekomme, fällt mir natürlich ein, wie ich das Ganze ändern würde, wäre ich in der Situation. Das könnte ich meinen Schüler*innen andauernd auf die Nase binden. Das tue ich nicht. Das tue ich nicht, weil jeder Mensch anders ist und meine Lösung vielleicht gar nicht für sie funktionieren würde. Nicht mal Ziele gebe ich ihnen vor. Die sollen sie selbst setzen. Immerhin müssen sie diese auch selbst verfolgen. In der Regel frage ich sie, ob sie Ideen für Lösungs- oder Verbesserungsvorschläge haben. Bringe ich dann mal Ideen mit ein, sage ich den Schüler*innen aber auch, dass ich auch nicht DIE Lösung habe und sie die Idee auch ablehnen oder ausprobieren und feststellen können, dass es das nicht ist. So begegnen mir die Schüler*innen selten ablehnend.

  1. Nahbarkeit im Rahmen

Schüler*innen lieben es, Dinge über ihre Lehrer*innen zu wissen. Auch mir werden immer wieder private Fragen gestellt. Wenn meine Schüler*innen fragen, wie meine Abiturnote war und ob ich auch irgendwas nicht konnte, antworte ich ihnen gerne. Letztens haben sie herausbekommen, dass ich Vegetarierin bin und wollten wissen, warum das so ist. Das beantworte ich ehrlich. Für diese Nahbarkeit belohnen sie mich mit ihren eigenen Geschichten. Aber natürlich habe ich auch Grenzen. Erst die Tage fragten sie mich, ob ich Instagram hätte und sie mich adden dürfen. Als ich sagte, dass mein privater (nicht öffentlich geschalteter) Account meine Privatsphäre ist und sie mir da nicht folgen dürfen, wurde das kommentarlos akzeptiert.

  1. Wertschätzung

Ich schätze meine Schüler*innen wert. Das versuche ich ihnen in jeglicher Hinsicht zu zeigen. Wie ich mit ihnen rede, welchen Ton ich anschlage, wenn ich zum fünften Mal das Gleiche gefragt werde, wie ich meinen Unterricht gestalte oder wie ich meine Arbeitsblätter gestalte. Die Wertschätzung bekomme ich von den Schüler*innen auch wieder. Nicht unbedingt in Form ihrer Handschrift, aber in Form ihres Verhaltens ;).

  1. Erwartungserwartungen

Wir erwarten alle, dass andere Menschen gewisse Dinge von uns erwarten. Entsprechend verhalten wir uns. Meine Schüler und Schülerinnen dürften des Öfteren erwarten, dass die Lehrer*innen wieder ein schlechtes Ergebnis von ihnen erwarten. Ich versuche daher immer zuversichtlich zu sein, dass sie für sich selbst zufriedenstellende Ergebnisse erzielen können. Das möchte ich ihnen tagtäglich  vermitteln.

 

Diese fünf Dinge stellen die Grundlage meiner Arbeit an der Schule dar. Ohne Vertrauen funktioniert sie nicht. Übrigens: Seit dem Gespräch mit David hat sich etwas verändert: Er ist nun merklich bemüht, im Unterricht sein Potenzial zu zeigen.

 

 

 

Autorin: Jacqueline Langer ist Fellow der Klasse 2017 in Köln. Sie arbeitet schwerpunktmäßig mit Schülern und Schülerinnen der Klassen 9 und 10. Zuvor hat sie Biologie in Köln und den Niederlanden studiert, sowie als Umweltpädagogin und OGS-Betreuerin Berufserfahrung gesammelt.