Im EU-Projekt „Schule als Ort der Vielfalt“ arbeitet Fellow Anna Göbel gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen insbesondere zur Berufsvorbereitung für neu Zugewanderte. Wie ihre Arbeit konkret aussieht und warum ihr interkultureller Austausch wichtig ist, erzählt sie im Interview.
Worum geht es bei dem Projekt und wie bist du dazu gekommen?
Als ich die Kurzbeschreibung zum Projekt „Schule als Ort der Vielfalt“ gelesen habe, wusste ich sofort – this is it! Das habe ich gesucht. Ein Schulentwicklungsprojekt mit interkulturellem Fokus. Eine Möglichkeit der Teilhabe für meine Schülerinnen und Schüler und mich zur systematischen, kultursensiblen Veränderung in Schule und Gesellschaft.
Der Ort Schule erschafft durch die Schülerinnen und Schüler für mich einen beeindruckenden Reichtum an kultureller Diversität. Hier interagieren so viele verschiedene Kulturen wie an fast keinem anderen Ort auf der Welt. Durch die Multikulturalität ergeben sich großartige Verbindungen – genauso wie neue Herausforderungen und Konfrontationen. Das ist für mich unglaublich spannend. Jeden Tag kommt es zu Arten von interkulturellem Austausch und ich erhoffe mir durch die enge Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schüler im Projekt, diese Potenziale sichtbar zu machen.

„Eine vereinfachte Sprache ist notwendig und zum Beispiel eine Schuljahresplanung, die religiöse und kulturelle Feste berücksichtigt.“
Was bewirkt das Projekt bei deinen Schülerinnen und Schülern?
Wir fokussieren uns dabei auf kultursensible Angebote zu Berufsvorbereitung. Es sind tolle, individuelle Ansätze vorhanden, jedoch nicht unbedingt strukturelle Vorgehensweisen. Zusammen mit meiner Projektbegleiterin und interkulturellen Beraterin Rimma habe ich während der Analysephase viel recherchiert. Wir haben Leitfäden erstellt und durch methodisches Vorgehen Informationen zur Berufsorientierung an der Schule gesammelt. Außerdem haben wir Interviews mit der Schulleitung, dem Kollegium, der Schülerschaft, den Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern, den Berufseinstiegsbegleiterinnen und der Schulberufsberaterin geführt. Während Betriebsbesichtigungen und Praktikumssuche frage ich meine Schülerinnen und Schüler ganz genau, was sie für Vorstellungen und Erwartungen haben. Ich stelle oft fest, dass hier unterschiedliche Realitäten aufeinandertreffen. Das Thema Zukunftsorientierung an Schulen bietet wenig Entfaltungsmöglichkeiten und lässt durch den Mangel an Kapazität auch wenig Spielräume zu.
Wie genau setzt du deine Aufgaben um und wie sieht deine Arbeit im Projekt konkret aus?
Mir ist es sehr wichtig, dass meine Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen und teilhaben! Oft fehlt ihnen noch die Erfahrung im Umgang mit gesellschaftlicher oder schulischer Teilhabe. Ich unterstütze meine Schülerinnen und Schüler beim Schreiben von Bewerbungen, zur Vorbereitung für Vorstellungsgespräche, auf der Suche nach Praktika oder weiterführenden Schulen. Wir laden Externe ein und versuchen, diverse Angebote zu schaffen. Wir haben zum Beispiel in der 8. Klasse unterschiedliche Betriebe besichtigt und das BIZ (BerufsInformationsZentrum) besucht.
Bei meiner Arbeit ist mir aufgefallen, dass mehr Kultursensibilität neue Möglichkeiten schaffen würde. Dabei ist eine offene Willkommenskultur sehr wichtig. Toleranz und Akzeptanz stehen an erster Stelle. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich die Schülerinnen und Schüler in einem fremden Kontext und anderen Realitäten bewegen müssen. Das Bewusstsein für unterschiedliche Normalitäten muss geschaffen werden, um die Anschlussfähigkeit in unterschiedlichen Kontexten zu gewährleisten. Eine vereinfachte Sprache ist notwendig und zum Beispiel eine Schuljahresplanung die religiöse und kulturelle Feste berücksichtigt. Kurdische oder muslimische Feste werden oft gar nicht beachtet. Ich sehe einen klaren Zusammenhang zwischen kultursensibler Zukunftsorientierung und dem Erfolg und Wohlbefinden meiner Schülerinnen und Schüler.
„Interkultureller Austausch ist für mich, den Horizont zu erweitern, verschiedene Lebenswelten kennenzulernen, sie zu leben und zu verstehen.“

Was bedeutet dir interkultureller Austausch?
Interkultureller Austausch ist für mich, den Horizont zu erweitern, verschiedene Lebenswelten kennenzulernen, sie zu leben und zu verstehen. Ich sehe es als Perspektiventausch mit nötiger Offenheit, Interaktion und Toleranz. Ich sehe Interkulturalität als große Chance für Weiterentwicklung und als Wertschätzung von anderen Realitäten. Das durfte ich schon oft erfahren. Was für ein Luxus. Lucky me! Mein internationales Studium in den Niederlanden und meine Auslandsaufenthalte in Südamerika, Südafrika und den USA haben mir gezeigt, wie sehr ich den interkulturellen Austausch liebe und in meinem Umfeld brauche. Ich weiß, wie privilegiert ich bin. Es inspiriert mich total, von anderen Lebensarten zu hören und diese leben zu dürfen. Dadurch finde ich für mich heraus, wie ich leben möchte. Ich versuche, alle paar Jahre an anderen Orten zu wohnen. Ich versinke in Kulturen und setze mich mit unterschiedlichen Menschen zusammen.
Was bedeutet für dich Europa?
Europa ist für mich ein besonderes, endloses Riesenbonbon. Eine pure Einmaligkeit und Luxussituation. Die Geschichte und die Gegenwart zeigen, dass diese hart erarbeitet wurde und immer weiter daran gearbeitet wird. Ich bin unglaublich froh darüber. Das Projekt Europa beruht auf gegenseitigem Interesse, Vertrauen und Engagement. Mein Studium in den Niederlanden und mein Felloweinsatz an der französischen Grenze haben mir noch mehr gezeigt, wie sehr ich offene Grenzen verteidige. Diese verbindende Gemeinschaft mit gleichen Werten ist eine der großartigsten Ideen. Ich bin eine totale Europaliebhaberin.

Fotos: Hannah Busing, Waldemar Brandt & Lukas via Unsplash.
