Klassenraum-Management: Fellow Caroline erzählt, wie ihr ein Lehrer aus den USA per Youtube half. Und warum sie der Ansicht ist, dass wir mit schwierigen Klassen neue Wege gehen müssen.
Mathestunde in einer 8. Klasse an einer Brennpunktschule im Osten Berlins. Es ist laut. Sehr laut. Kein Schüler befindet sich auf seinem Platz. Niemand hört zu. An Unterricht ist nicht zu denken. Zwischenzeitlich befinden sich drei Lehrer*innen im Raum, die erstaunt das Treiben beobachten und damit beschäftigt sind zur Ruhe zu mahnen: „Justin setz dich hin.“ „Leonie dreh dich um.“ „Leon komm wieder rein.“ „Amid pack deine Sachen aus.“ „Cheyenne hör auf.“ „Lucy pack das Handy weg.“ Und so weiter. Erfolglos.
Nach 90 Minuten sind wir und die Schüler und Schülerinnen fertig mit den Nerven. Hier hat heute niemand etwas gelernt. Wir Lehrer und Lehrerinnen sind erschöpft von der Lautstärke, enttäuscht über die Stunde und besorgt über die Zukunft. Wie soll das weitergehen? Wie sollen die Schüler*innen hier ihren Abschluss schaffen?
Dazu sei gesagt, dass ich mit der Klassenlehrerin (58 Jahre, seit 30 Jahren Lehrerin) in verschiedenen Klassen unterrichte. Sie ist unglaublich engagiert, unterrichtet klar und verständlich, ist stets gut vorbereitet, freundlich und beherrscht ihren Stoff. Doch an dieser 8. Klasse scheitert sie, scheitern wir beide. Viele der Schülerinnen und Schüler dieser Klasse haben den Status „emotional-sozial gestört“, was im Endeffekt bedeutet, dass sie ihr Verhalten nur schwer kontrollieren können. Allerdings hätte man an diesem Tag praktisch jedem in der Klasse diesen Status geben können, so laut, so ungeordnet und so verrückt ging es zu.
Die Lehrerin und ich besprechen uns und beschließen, die Klasse am Folgetag zu teilen. Sie nimmt die lernschwachen Kinder, ich den Rest. Die lautesten Schülerinnen und Schüler sind meistens auch die, welche eigentlich unterfordert sind, also genau die, welche ich morgen alleine unterrichten werde. Ich komme nach Hause und bin aufgeregt. Wie soll ich das schaffen? Wie kann ich diese Klasse händeln?
Fortbildung in Sachen Klassenraum-Management
Gott sei Dank habe ich in der TFD-Fortbildung vergangene Woche eine Einheit zum Thema Klassenraum-Management besucht. Das ist die Kunst, auch schwierige, laute Klassen unter Kontrolle zu bekommen. Wer noch nie vor so einer wilden Klasse stand, kann sich vielleicht nicht vorstellen, wie das ist. Es ist krass. Jedenfalls haben wir bei der Fortbildung das Video “Meet Mr. Hester” gesehen, ein kurzer Clip über einen Ex-Fellow, der heute Englisch-Lehrer ist und seine Klassen auf beeindruckende Weise unter Kontrolle bekommen hat. (Anschauen, lohnt sich!)
Ich setzte mich also hin und schaute mir mehrere Beispielstunden von Mr. Hester an. Wie er die Schülerinnen und Schüler am Eingang zum Raum begrüßt und dadurch den Raum einerseits “bewacht”, andererseits auch klar ist, wer hier die Regeln macht. Wie sich jeder Schüler und jede Schülerin ohne zu sprechen auf seinen und ihren Platz setzt und die Aufgabe auf dem Tisch bearbeitet. Wie er mit stark ritualisierten Signalen Ruhe schafft. Wie er extrem konsequent auch die kleinste Störung notiert, welche zu Nachsitzen führt.
Aber vor allem: wie er lobt, bis die Kinder vom Stuhl fallen. Mr. Hester hat extrem hohe Erwartungen an seine Schülerinnen und Schüler. Diese verbalisiert er ständig: „I expect you to do this, I expect you to do that.“ Sobald die Klasse diesen Erwartungen nachkommt, lobt und lobt und lobt er sie. „Thank you for meeting my expectations. You are quietly working and meeting my expectations. Thank you.“ Überhaupt spricht er nur positives Verhalten an, negatives wird sofort verschriftlicht und nach der Stunde mit klaren Konsequenzen geahndet. Außerdem macht er deutlich, dass diese starre Regeleinhaltung nicht für ihn sondern für die Klasse ist, damit sie etwas lernen, ihren Schulabschluss schaffen und aufs College gehen können.
Mucksmäuschenstill
Über Youtube und Lehrer-Blogs fand ich noch viele weitere Tipps, sodass ich beschloss es am nächsten Tag damit zu versuchen. Kein Ermahnen, nur positive Verstärkung von richtigem Verhalten. Jede kleinste Störung sofort ahnden, ritualisieren, Regeln verständlich machen und von Anfang an einfordern. Die Schülerinnen und Schüler vor dem Raum begrüßen. In die Augen schauen: „Schön, dass Du da bist. Setz Dich bitte auf den Platz mit deinem Namen und bearbeite die Aufgabe ohne zu sprechen.” Als die Schülerinnen und Schüler alle ihre Plätze eingenommen hatten und ich nach vorne ging, stellte ich erstaunt fest, dass es still, mucksmäuschenstill war. Ich starrte dieselben Kinder, die gestern noch einen Riesenzirkus aufgeführt hatten, erstaunt an und wollte meinen Augen nicht trauen. Ein Schüler meldete sich und begann zu sprechen, bevor ich ihn drangenommen hatte. Sofort ein Strich im Klassenbuch. Er blickte mich erstaunt an, akzeptierte die Maßnahme aber wortlos. Den Rest der Zeit verbrachte ich, wie Mr. Hester es gelehrt hatte, mit Loben: “Ihr arbeitet seit fünf Minuten still und konzentriert. Super, weiter so. Ihr erfüllt meine Erwartungen.”
Um es kurz zu machen, die Stunde wurde ein voller Erfolg. Es gab keine Störung. Wir machten sogar eine Gruppenarbeit, die leise und produktiv ablief. Als wir uns am Ende der Stunde in einem Stuhlkreis einfanden um zu reflektieren, was heute gut und nicht so gut gelaufen war, hörte ich ausnahmslos: „Ich fand es gut, dass es heute so still war und, dass ich mich konzentrieren konnte. Schlecht fand ich eigentlich gar nichts.“
Als ich an diesem Tag den Raum verließ, konnte ich mein eigenes Glück nicht glauben. Eine konzentrierte und stille Stunde. In dieser Klasse. Mit so einfachen wie effektiven Maßnahmen. Ich schickte ein großes, gedankliches Danke an Mr. Hester und machte mich beschwingt auf den Heimweg.
Autorin: Caroline v. Lorne v. St. Ange ist Fellow der Klasse 2017 und an der Paul-Schmidt-Schule in Berlin-Lichtenberg im Einsatz.