„Und hast du schon Pläne für danach…?“ – diverse Kolleginnen und Kollegen, der Hausmeister, die Mit­bewohnerinnen, andere Fellows, eine Journalistin und gute Freunde: wirklich jede und jeder hat Fellow Nina in den letzten Wochen diese Frage gestellt. „Danach“ ist die Zeit nach nächstem Juni, nach dem Teach First Deutschland Fellowship, nach dem aufregenden Einsatz in einer Hamburger Stadtteilschule im Alltag mit Jugendlichen, die nicht die besten Startbedingungen im Leben haben. Heute erzählt Nina, was sie bisher erlebt hat und was sie für ihre Zukunft plant.

Mein zweites Einsatzjahr hat angefangen. Alle hatten es mir vorhergesagt und ich kann es jetzt auch bestätigen: das zweite Jahr ist noch mal ganz anders und irgendwie cooler! Meine eigenen Projekte sind gestartet, meine Fokusschülerinnen und –schüler kennen mich gut und vertrauen mir, die Kolleginnen und Kollegen freuen sich auf die Zusammenarbeit und planen mich von vornherein ein, eine neue Teach First Fellow hat am anderen Standort meiner Schule angefangen, sodass wir nun noch mehr Klassen eng zum Abschluss begleiten können. Es ist für mich elektrisierend, an den ganzen unterschiedlichen Themen zu arbeiten, die ich im letzten Schuljahr zum größten Teil vorbereitet habe und nun umsetzen darf.

Mit einer sehr motivierten Gruppe aus der zehnten Klasse und einer tollen Kollegin entwerfe ich Gebäudebeschilderungen für unsere große und doch etwas unübersichtliche Schule und weitere Materialien, um die Navigation für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft zu erleichtern.  Das erste Etappenziel war nun die Vorstellung der Zwischenergebnisse vor unserem Schulleiter – mit Erfolg. Mein absolutes Highlight war dabei, dass eine Gruppe Jungs, die einen Flyer entworfen hat, mit leuchtenden Augen und voller Stolz auf ihre Arbeit fragten, ob sie die Flyer selbst verteilen dürfen, wenn diese gedruckt worden sind. Wie unglaublich cool ist es, diesen Jugendlichen solche Erfolgserlebnisse zu ermöglichen und zu wissen, dass sie sicherlich von dieser Motivation und Anerkennung zehren werden? Für mich persönlich ist es auch schön zu wissen, dass die Schülerinnen und Schüler und ich der Schule etwas hinterlassen, dass wir nicht nur jetzt, sondern auch „danach“ für die Gemeinschaft eine positive und hilfreiche Wirkung haben.

Neben diesem konkreten Projekt passiert noch so viel mehr in meinem Schulalltag: Ein Kurs auf Englisch zu Medien und Gesellschaft und der reguläre Unterricht in Mathe, Deutsch, Englisch mit meinen beiden Fokusklassen im neunten Jahrgang. Pläne, mit meinem Büchereiteam die Schulbücherei umzugestalten und neue Möbel und Bücher anzuschaffen. Vorbereitungen auf die ersten Abschlussprüfungen mit den Neunern und auf die Ausbildungsplatzsuche mit den Zehnern über das Alumni-Projekt „MUT-Academy“. Demokratiebildung für die Oberstufe mit einem anderen Hamburger Alumni-Projekt – „die Erstwahlhelfer“. Förderkurse in Englisch sowohl für die neunten als auch für die zehnten Klassen.

Im Projekt Schulwegweiser erstellen die Schülerinnen und Schüler einen Lageplan und Wegweiser für die Schule und gestalten u.a. die Schulbücherei um, indem sie neue Möbel und Bücher anschaffen.

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Viele große und kleine Augenblicke, tolle Gespräche, Spaß im Lehrerzimmer, durchziehen von Regeln, Aha-Momente im Klassenzimmer und immer wieder die Feststellung, wie lieb ich sie gewonnen habe, die Jugendlichen, mit denen ich jetzt seit einem Jahr jeden Tag zusammenarbeite. Dass das auch auf Gegenseitigkeit beruht, können sie zwar im pubertären Wirrwarr nicht so verbalisieren, aber ich merke es doch – wenn sie mir freudestrahlend quer über den Schulhof ein „Hallo, Frau Siemer!“ zurufen oder in der Pause zu mir in die Bücherei kommen, obwohl lesen eigentlich gar nicht ihrs ist. Süß war auch, als zwei meiner wilden Jungs mich auf dem Nachhauseweg abfingen, um mich zu fragen, ob ich auch zu ihnen zum Praktikumsbesuch kommen würde – „Wieso? Hättet ihr das gerne…?“ – „Äh, ja, also, äh – naja, ist ja auch ganz egal, wer da kommt“. Jaja, da hätten sie ausversehen fast zugegeben, dass sie sich freuen würden, mir ihr Praktikum zu zeigen. Ach, sie werden mir fehlen, „danach“.

Auch im Teach First Kontext geht es nun immer mehr um das „danach“. Das Mentoring ist gestartet, wo wir die Chance erhalten durch eine im Beruf erfahrene und erfolgreiche Person für unseren weiteren Weg zu lernen und unsere eigene Zukunftsvorstellung zu konkretisieren. Ich erhalte immer wieder die Chance zu reflektieren, was ich in diesem Jahr schon gelernt habe, was mir Spaß gemacht hat und woran ich gewachsen bin. Was das ganz konkret für mich heißt, muss ich noch rausfinden – dafür habe ich ja noch etwas Zeit. Ich weiß schon, dass ich weiterhin Verantwortung für eine gerechtere Gesellschaft übernehmen möchte, vielleicht in einer Stiftung oder Organisation. Neben dem Mentoring und dem Leadership-Training ist es auch eine gute Gelegenheit, das TFD-Netzwerk zu nutzen, um Kontakte zu knüpfen und Vorstellungen von verschiedenen Arbeitsumfeldern zu erhalten. Eine große Frage, die ich mir stelle, ist, wie es sein wird, nach diesen zwei Jahren extrem selbstbestimmten Arbeitens, wo ich quasi alle Projekte aus Leidenschaft und Interesse realisieren konnte, in einen Job zu kommen, wo Themen und Strukturen vielleicht deutlich mehr vorgegeben sind. Naja, das wird sich zeigen.

Doch nicht nur ich bereite mich auf ein „danach“ vor – auch für meine Schülerinnen und Schüler wird es ernst. Die beiden Klassen, die ich im Fokus habe, sind nun in der neunten und haben ein wirklich vollgepacktes Schuljahr. Alles dreht sich um den ersten Schulabschluss (äquivalent zum Hauptschulabschluss) und die Berufsorientierung für ihr eigenes „danach“. Sie müssen zum ersten Mal mündliche Prüfungen machen und gleich zwei Betriebspraktika absolvieren. Eine Schülerin sagte zu mir im Gespräch zur Vorbereitung auf das Praktikum: „Es ist total krass, wie schnell auf einmal alles geht. Dieses Schuljahr ist so mega wichtig – warum haben wir das nicht letztes Jahr schon gemerkt?“ Ein anderer schwört, auf jeden Fall zum Förderunterricht zu kommen, denn: „Ich muss Englisch lernen – ich will meinen Abschluss schaffen!“ Beide Jugendliche haben eigene Migrations- und Fluchterfahrung und müssen sprachlich – besonders schriftlich und auf Englisch – noch mit Lücken kämpfen. Ich durfte sie in ihrem ersten Praktikum besuchen. Dort war es toll, das Lob ihrer Kollegen über Engagement und Fleiß zu hören und ihre Begeisterung für die Arbeit zu sehen. Ich hoffe, das gibt ihnen den Motivationsschub, um die guten Vorsätze in diesem wichtigen Schuljahr durchzuhalten. Ich bin froh, sie dabei begleiten zu dürfen.

So sind wir alle – meine Schülerinnen und Schüler genau so sehr wie ich – irgendwie noch im vollen Schwung, arbeiten wie wild, haben Spaß und Frust, viele Fragezeichen und ein paar Zukunftsängste, aber auch viel Vorfreude. Wir stecken mittendrin und fangen doch an, das nächste Ziel klarer zu sehen: jede und jeder unser individuelles „danach“.

 

 

Nina ist Fellow des Jahrgangs 2018- 2020 in Hamburg.

Nina, Fellow 2018