Fast zeitgleich fanden im Mai die diesjährigen Netzwerk-Veranstaltungen des Berliner Büros sowie der Region Süd in Stuttgart statt. In beiden Städten widmeten wir uns der Auseinandersetzung und Reflektion mit populistischen Strömungen – jeweils auf ganz eigene Weise.

Aktuelle gesellschaftliche Dynamiken treiben auch das Arbeiten unserer Fellows an den Schulen um. Wie umgehen mit Vorurteilen? Wie Wahres vom Falschen unterscheiden? Wie freiheitlich-demokratische Grundwerte vermitteln ohne den Zeigefinger zu erheben? Kein Wunder also, dass sich gleich zwei unserer Netzwerkabende im Mai um die Auseinandersetzung mit populistischen Strömungen drehten.

In Berlin fragten wir uns gemeinsam mit der Initiative Gesicht Zeigen!, was der heutige Auftrag politischer Bildung ist – und wie Rahmenbedingungen bestellt sein müssen, damit (junge) Menschen wieder Lust auf gestaltende Diskussion, Partizipation und Engagement verspüren.

Den Startschuss in den Abend machte Professor Dr. Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin. Sein Forschungsthema: Soziale Bewegungen in Deutschland. Zwar sei Populismus, wie wir ihn heutzutage erleben, kein unbekanntes Phänomen. Jedoch sieht er seine Rolle als Wissenschaftler und damit als neutrale, seriöse Instanz durch die neuen (national-)politischen Strömungen in Frage gestellt. Für Gespräche seien diese Gruppierungen anders als die bislang durch ihn untersuchten Protestbewegungen schlicht nicht mehr zugänglich. Der neue (Rechts-)Populismus sei nicht zuletzt mangels Willen zu einem politischen Konsens eine spürbare, wenn auch nicht immer sichtbare Bedrohung für die Gesellschaft. Wir fühlten uns bestätigt: in Zeiten wie diesen muss über den Wert politischer Streitkultur, über die Begegnung mit Vorurteilen und über das Spannungsfeld des gewünschten Meinungspluralismus und den Grenzen der Meinungsäußerung diskutiert werden. Politische Bildung mit und für Kinder und Jugendliche ist dabei das beste Investment in die Demokratie!

Ideen für Politische Bildungsarbeit

Mit dieser Aufgabe warben unsere geladenen Experten und Expertinnen um unsere Gäste. An sechs Tischen boten sie vielfältige Sichtweisen auf ein großes Thema: Wie viel freie Meinung verträgt die Demokratie?

Der Thementisch „Meine Wahrheit ist die Blase – politische Bildung in der digitalisierten Welt“ von Oliver Baumann von Die Kooperative und Benedikt Fecher vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft diskutierte zur Meinungsäußerung im digitalen Raum und notwendiger Zivilcourage in der Gegenrede. Schule habe – in Kooperation mit externen Experten – den zusätzlichen Auftrag, Schülerinnen und Schüler digitale Mündigkeit zu ermöglichen. Ein anderer Tisch beschäftigte sich mit dem Thema „Ich habe ja was gegen Vorurteile, aber … – Wie können wir Vorurteile kommunikativ entkräften?“ Mathias Hamann, Leiter der Flüchtlingsunterkunft Moabit und Kommunikationstrainer und Marian Spode-Lebenheim, Referent Politische Bildung von Gesicht Zeigen!, diskutierten zur „Streitkultur als Leitkultur“. Der Tisch „Ich habe die Wahl – Demokratie in der Schule (vor-)leben“ gab Einblick in gelebte demokratische Praxis an Schulen dank Impulsen von Ann-Katrin Schwindt, Lehrerin an der Heinrich-von-Stephan Schule, und Michael Hammerbacher von DEVI e.V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung. An dieses Thema knüpften auch Reinhard Fischer von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung und Fellow Vanessa Masing an und beschäftigten sich mit dem Kinderrecht auf Partizipation.  Fazit: Schulen bieten Schülerinnen und Schülern noch zu selten ausreichende Partizipations-Möglichkeiten – was nicht zuletzt auf mangelndes Vertrauen in die reflexiven Fähigkeiten der Schülerschaft zu erklären ist. Ein Beispiel, wie Jugendliche sich auch außerhalb des Systems Schule politisch bilden und engagieren können, gab Christian Egbering, Alumnus und politischer Referent im Haus Rissen Hamburg. Mit seinem Projekt ErstWahlHelfer werden Jugendliche, die noch nicht selbst wählen können, in die Verantwortung für den Wahlablauf genommen.

Der außerschulische Lernort zeigte sich über alle Thementische hinweg als geeigneter für politische Bildungsangebote als die Schule selbst: So nannte auch Dr. Philipp-Christian Wachs, Geschäftsführer des Haus Rissen Hamburg, die Vorteile außerschulischer politischer Bildungsangebote mit notenfreien Räume und spielerischen, erfahrungsbasierten Herangehensweisen als notwendige Abrundung zu schulischen Förderangeboten. Zudem stellte er auch die Bedeutung der begleitenden Elternarbeit heraus. Schließlich bot noch die SPD-Abteilung Grünes Dreieck aus Berlin-Wedding eine weitere Sicht auf die politische Bildungsaufgabe. Die Abteilung bietet mithilfe eines Stipendiums Geflüchteten – auch wenn sie aufgrund ihres Aufenthaltsstatusses noch ohne Wahlrecht sind, die Möglichkeit, das politische Systems Deutschlands kennenzulernen.

Rendezvous mit dem Populismus

Ganz anders gestalteten wir unseren Netzwerkabend in Stuttgart: Hier luden wir mit Unterstützung der Konrad-Kohlhammer-Stiftung und unter dem Titel „Reflektor“ ein zu einem vielfältigen Abend, der in einem Rendezvous mit dem eigenen Populismus mündete. Dass es keine klassische Abendveranstaltung wird, war zwar wohl den meisten Teilnehmenden bereits seit der Einladung bewusst, es wurde aber auch direkt bei der Begrüßung auf der Kulturinsel Stuttgart deutlich: Dabei wurde jedem eine Karte überreicht, auf dem man einen ureigenen Populismus aufschreiben sollte – die Grundlage für das später am Abend folgende Rendezvous.

Wir starteten mit einem Impulsvortrag von Christian Hänel, Leiter der Abteilung Völkerverständigung Amerika und Asien der Robert Bosch Stiftung. Er warf unter anderem die Frage auf, ob es eigentlich gute und böse Populisten gibt und kam zu dem Schluss, dass Populismus kein Etikett sei, das helfe, um ins Gespräch zu kommen und aus der eigenen Filterblase raus. Anschließend diskutierten unsere Fellows Alrun Vogt und Jan von Samson mit Alexej Boris von der Künstlergruppe Boris und Konsorten, die mit einem interaktiven Theaterstück gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit an Schulen geht, über ihren Umgang mit Populismus an den Schulen. Mehrfach ging es dabei darum, wie man die Schülerinnen und Schüler „abholen“ müsse. „Ich hole niemanden ab“, war dazu Alexej Boris Kommentar. Man kann nur in die Auseinandersetzung miteinander gehen, aber keinem sein Weltbild so einfach überstülpen und als Wahrheit verkaufen, sollte das heißen.

Anschließend wurden die Teilnehmenden des Abends von der fiktiven Bewegung für Radikale Empathie mittels einer Ausstellung auf das Rendezvous mit ihrem Populismus eingestimmt. In Zweierdates und in Kerzenschein forderten wir unsere Gäste dabei dazu heraus, in die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen zu gehen. Leitfragen dazu waren unter anderem: Bin ich mir über die Existenz des ein oder anderen eigenen Populismus im Klaren? Muss ich meinen Populismus als festen Bestandteil meiner Persönlichkeit akzeptieren? Oder auch: Muss ich meinen Populismus verstecken?

Das Experiment glückte: „Spannende Perspektiven“, „Erkenntnisreiche Diskussionen“ und „Neues Denken“ wurde laut der Teilnehmenden dadurch ermöglicht. Wir freuen uns daher, demnächst mit Reflektor in eine zweite Runde zu starten. Und auch der Abend in Berlin wurde überaus positiv wahrgenommen: „Ein toller Abend mit Themen, die die Baustellen der Demokratie in unserer Gesellschaft darstellen. Lebe ich in einer Blase? Scheitere ich an meinen eigenen Vorurteilen, oder schaffe ich es unbefangen jedem Menschen gegenüber zu treten? Der lebendige Austausch in den von mir besuchten Runden hat mir viele Erkenntnisse und neue Sichtweisen vermittelt. Bitte mehr davon!“, meint beispielsweise Patrick Gehrke von der Stiftung Berliner Sparkasse.

Falls Sie Lust haben, uns bei einer unserer nächsten Veranstaltungen zu unterstützen, melden Sie sich bei uns.

 

Diese tollen, reflektierenden Abende wären nicht möglich ohne die vielfältige Unterstützung all unserer Partner – wir sagen von Herzen Danke!

 

Autorinnen: Dr. Wiebke Rasmussen und Kathrin Justen