Fellow Pascal hat während seines Schuleinsatzes viel über Selbstbewusstsein gelernt. Vor allem über das seiner Schülerinnen und Schüler, aber auch über sein eigenes – und wie viel das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bewegen kann.
Heute ist Samstag, der 5. Mai 2018, und ich sitze nach einer kurzen, aber intensiven Woche mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch. Vor drei Tagen hatte ich seit langem wieder ein Vorstellungsgespräch und zwei Tage ist es her, dass die Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse, in der ich hauptsächlich als Fellow eingesetzt bin, ihre letzte schriftliche Prüfung geschrieben haben. „Voll einfach!“, sagten die meisten über die Englischprüfung, als ich sie gestern auf dem Pausenhof auf die Prüfung angesprochen habe. Das meinte auch die Englischlehrerin, mit der ich gemeinsam in den Englischstunden unterrichte. „Sie haben alle auf das geachtet, was wir ihnen noch mit auf den Weg gegeben haben, die Aufgaben dementsprechend gut gelöst und auf den ersten Blick sieht das Ganze ziemlich gut aus.“ Das freut mich, besonders nachdem nach der Matheprüfung eine ganz andere Stimmung bei den Jugendlichen und den Lehrkräften geherrscht hat. Doch das Schuljahr ist mit dieser Prüfung noch nicht vorbei. Die nächsten vier Schultage müssen die Schülerinnen und Schüler in einer Gruppenarbeit eine Projektprüfung vorbereiten, die sie anschließend in der Woche vor den Ferien als Präsentation vortragen. In den letzten Wochen wurde viel dafür recherchiert und auch ich habe die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt. Ab nächster Woche sind sie allerdings auf sich selbst gestellt.
Abschluss oder nicht?
Ich schaue in meinen Kalender und zähle die Wochen bis zum Schuljahresende: Noch zwei Wochen Schule bis zu den Pfingstferien, danach sind es noch vier Wochen bis zur Abschlussfahrt. Direkt danach wird es die Abschlussfeier inklusive der Zeugnisvergabe geben. Ich gehe im Kopf meine Fokusschülerinnen und -schüler durch und frage mich, wie viele der fünf, die dieses Jahr die Prüfungen abgelegt haben, überhaupt einen Abschluss schaffen werden. Ich zähle zwei, bei denen der Abschluss und auch der Anschluss sicher ist und drei, bei denen ich mir nicht sicher bin und bei denen es ziemlich knapp werden könnte. Auf den ersten Blick ein ernüchterndes Ergebnis – weniger als 50% Erfolgschance.
Den Problemen auf den Grund gehen
Hat mein Einsatz als Fellow also nichts gebracht? Ich bin kein Superheld, aber ich bin der festen Überzeugung, dass meine Arbeit auf jeden Fall etwas bei den meisten Schülerinnen und Schülern, mit denen ich zusammengearbeitet habe verändert hat. Zwei meiner „Wackelkandidatinnnen“ haben sich zu Beginn des Schuljahres wenig bis gar nichts zugetraut und waren vermutlich deswegen sehr oft nicht im Klassenzimmer oder gar nicht in der Schule. Neben Dingen, die im privaten Umfeld stattfanden (und auf die ich keinen Einfluss habe) führte eine Überforderung im Klassenzimmer zu einer Blockade und zu kompletter Leistungsverweigerung. In diesem Schuljahr habe ich deswegen eine Mathegruppe gegründet, bei der die Schülerinnen und Schüler, die mit mir zusammenarbeiten wollen, parallel zum Regelunterricht in einer Kleingruppe das aktuelle Thema behandeln. „Gehen wir heute wieder in die Kleingruppe?“, werde ich vor den Stunden immer wieder gefragt. Ein gutes Zeichen dafür, dass das Angebot dankend angenommen wird. Die Noten sind im Laufe des Schuljahres teilweise besser geworden – bei manchen Klassenarbeiten standen auf einmal 4en, wo sonst nur 5en oder auch 6en erreicht wurden.
Selbstbewusstsein durch Lerncamps
„Herr Hauser, ich kann ja Mathe doch“, sagten Sabrina und Anne im März während dem Lerncamp „work hard get smart“, zu dem sich die beiden direkt angemeldet haben, als ich ihnen davon erzählt habe. Das Lerncamp bringt Schülerinnen und Schüler aus ganz Baden-Württemberg zusammen und bereitet sie in vier intensiven Tagen auf ihre Haupt- oder Werkrealschulprüfungen in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch vor. Unter dem Motto ‚Lernen in einer positiven Umgebung‘ werden die Schülerinnen und Schüler anhand eines didaktisch abwechslungsreichen Unterrichtsprogramms fit für die Abschlussprüfungen gemacht. Mindestens so wichtig wie fachliche Fortschritte sind dabei Methoden, die das Selbstbild stärken und die Schülerinnen und Schüler so über sich selbst hinauswachsen lassen. Selbst wenn Anne und Sabrina dieses Jahr ihren Abschluss nicht schaffen, bin ich davon überzeugt, bei ihnen etwas verändert und gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern ihr Selbstwertgefühl gesteigert zu haben.*
Selbstbewusstsein durch intensive Betreuung und Kleingruppenarbeit
Das Thema ‚Selbstwertgefühl aufbauen‘ zieht sich durch meinen kompletten Felloweinsatz und es ist nach den fast zwei Schuljahren äußerst befriedigend zu sehen, wie sich die Schülerinnen und Schüler, mit denen ich gemeinsam arbeite, weiterentwickelt haben und immernoch weiterentwickeln. In der 6. Klasse, die ich seit letztem Jahr betreue, habe ich drei Schülerinnen und Schüler, die eine Leserechtschreibschwäche oder generell große Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben. Gemeinsam arbeite ich mit ihnen im Fach Deutsch zusammen, übe einmal in der Woche in einer Kleingruppe die neuen Englischvokabeln mit ihnen und gebe ihnen Methoden an die Hand, mit denen sie selbstständig lernen können. Wo Anfang des letzten Schuljahres die Vokabeltests konstant „nicht bestanden“ wurden, wird dies in diesem Schuljahr zu einer immer größeren Seltenheit. Das Selbstwertgefühl lässt sich meiner Meinung nach durch eine intensive und gezielte Förderung stärken, indem den Schülerinnen und Schülern gezeigt wird, dass sie etwas Fachliches können. Sei es eine Rechnung in Mathematik, das Erlernen von Vokabeln oder das Strukturieren eines Aufsatzes.
Selbstbewusstsein durch Projektarbeit
Nichtsdestotrotz ist es mindestens genauso wichtig, auch einmal aus dem Klassenzimmer herauszugehen und Projekte fernab des Unterrichts zu machen, um den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, was sie neben Mathe, Deutsch und Englisch sonst noch alles erreichen können. Daher habe ich als begeisterter Kletterer im letzten Schuljahr eine Kletter-AG für die Klassenstufe 5-7 gegründet, bei der die Schülerinnen und Schüler im Laufe des Halbjahres (es handelt sich um eine Wahl-Pflicht-AG) Sicherungstechniken lernen, um so eigenständig und mit großer Verantwortung ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sichern zu können. Ein weiteres Herzensprojekt, das ich dieses Schuljahr gegründet habe, ist die Labor-AG. Zwar wird an der Gemeinschaftsschule, an der ich arbeite, eine Fächerkombination aus Physik, Chemie und Biologie unterrichtet – hierbei werden aber hauptsächlich die theoretischen Hintergründe dieser naturwissenschaftlichen Teilbereiche beleuchtet. Anders in meiner Labor-AG: Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Erforschen und Experimentieren, womit ich bei zwölf interessierten Schülerinnen und Schülern durch spannende Experimente das Interesse für Naturwissenschaften wecken und fördern möchte. „Unterscheidet sich die Verdauung zwischen Essen und Trinken?“, „Wie sehen wir eigentlich?“ und „Warum leitet unser Gehirn den Schmerz so schnell weiter?“ waren unter anderem die Fragen, die die Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schuljahres zum menschlichen Körper gestellt haben. Diese Fragen haben wir anschließend im Laufe des Halbjahres durch Experimentieren, Sezieren (von Auge und Lunge) und Modellieren beantwortet. Ende Juni werde ich mit den Schülerinnen und Schüler auf eine von Fellows aus ganz Deutschland organisierten Netzwerkveranstaltung – das Bildungsfestival – fahren, bei der Schülerinnen und Schülern aus benachteiligten Einzugsgebieten die Möglichkeit haben, ihre Projekte vorzustellen, ihr Wissen durch von ihnen gegebene Workshops an andere Schülerinnen und Schüler weiterzugeben und somit über sich selbst hinauszuwachsen.
Selbstbewusstsein durch zwei Jahre Felloweinsatz
Nicht nur meine Schülerinnen und Schüler sind in den letzten zwei Jahren über sich hinausgewachsen. Um ehrlich zu sein, sind wir es zusammen. Ich habe durch die Arbeit an der Schule und die Fortbildungen von Teach First Deutschland viel dazugelernt. Ich habe gelernt, dass hinter einer Leistungsverweigerung viel mehr steckt, als pure Lustlosigkeit. Jugendliche haben es oft schwer, ihre eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen. Mit einer positiven Beziehung und einer gehörigen Portion Vertrauen konnten wir aber gemeinsam daran arbeiten.
Durch die Gestaltung überregionaler Projekte entstehen und entstanden Veranstaltungen, von denen die Schülerinnen und Schüler an den Einsatzschulen profitieren konnten und können, aber bei denen auch ich selbst viel über die Arbeit an Projekten dazulernen dürfte. Durch diesen vielfältigen Erfahrungsschatz hoffe ich, auch nach meinem Einsatz etwas verändern und diese Kompetenzen in meiner Arbeitsstelle nach Teach First Deutschland einbringen zu können. Den „Umweg“ nach dem Studium an eine Schule im sozialen Brennpunkt statt direkt in den Job würde ich auf jeden Fall noch einmal gehen.
*Tatsächlich hat zusätzlich noch eine der Wackelkandidatinnen ihren Abschluss zum Schuljahresende erfolgreich geschafft!
Pascal Hauser ist Fellow der Klasse 2016 und war an einer Schule in Freiburg im Einsatz.