Das war sie also, die Fellow-Zeit. Bunt und aufregend und laut. Jeder Tag ein Abenteuer, eine Mischung aus Lernen und Erproben, aus positivem Stress und ganz, ganz viel Reflexion. Was Teach First Deutschland uns Fellows ermöglicht, ist wundervoll. Ich lasse die letzten zwei Jahre noch einmal Revue passieren. Von Marie Cornell Zender

Vor über einem halben Jahr habe ich den Einsatz im Zwischenbericht gefeiert und an meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Die letzten Monate stehen denen davor in nichts nach, im Gegenteil, sie sind noch prägender, noch intensiver gewesen. Denn jetzt kann ich die Früchte langer Arbeit ernten:

Einige meiner Fokus-Schüler*innen haben bei den Zentralen Abschlussprüfungen ziemlich gut abgeschnitten. Fünf von ihnen habe ich zu einem Lerncamp in den Niederlanden begleitet, wo sie in ihren Osterferien Mathe, Englisch und Deutsch gepaukt haben. Unsere große Zirkusvorstellung im März war ein Riesenerfolg mit 1.500 Gästen, viel Stolz, Herzklopfen und Freudentränen. Sieben Schülerinnen und Schüler aus der Vorklasse besuchen seit Anfang Juni die Regelklassen, werden dort bestens aufgenommen und einer hat mir diese Woche ganz stolz seine erste Eins in Mathe gezeigt! Gleichzeitig blühen jene, die immer im Schatten der weiter fortgeschrittenen Schüler*innen standen, jetzt sichtlich auf und sprechen ohne Punkt und Komma Deutsch. Und mein persönliches Highlight: Als eine wichtige Newsletter-Stunde wegen des Abistreichs beinahe ausgefallen wäre, kamen zwei meiner Schülerinnen nachmittags extra noch einmal in die Schule zurück, um den Newsletter fertig zu stellen. „Ist doch klar, Frau Zender, ist doch unser Projekt!“ Ich hätte stolzer nicht sein können auf die Mädels, die sich so verantwortungsvoll zu unserer kleinen Redaktion bekannten.

Zwischen damals und heute

Denke ich heute an meinen ersten Arbeitstag, muss ich lächeln. Die Teach First Deutschland-Sommerakademie hat ganze Arbeit geleistet: Inhaltlich fühlte ich mich bestens vorbereitet, nach all den intensiven Seminaren zu etwa den Themen Stundenplanung, Schüler*innenorientierung und Differenzierung. Ich wusste schon, dass mir Unterrichten Spaß macht, schließlich hatten wir Fellows zwei Wochen lang in Berlin an Schülerinnen und Schülern „geübt“, die während der Ferien für ihren Mittleren Schulabschluss trainierten. Und ein neues Umfeld, darauf hatte uns Teach First Deutschland auch vorbereitet. Nicht umsonst wurden wir – einander völlig fremde 2015er Fellows – drei Wochen lang auf der wunderschönen Katlenburg zusammengewürfelt. Unterschiedliche Fachrichtungen, ähnliches Mindset, so scheint es zu funktionieren und ich habe hier einige meiner besten Freunde kennen gelernt.

Zurück zum ersten Schultag an der Willy-Brandt-Gesamtschule: Man drückte mir eine Schultüte in die Hand und als ich mich vor dem Kollegium aus 145 Leuten vorstellte, wusste niemand, was dieses Teach First Deutschland überhaupt sein soll. Aber das habe ich ihnen gezeigt und welch schönes Feedback ist es doch, dass die Schulleitung sich erneut um einen Fellow beworben hat.

Doch nicht nur didaktisch hat mich die Teach First Deutschland-Sommerakademie gut vorbereitet. Auch von meiner Schülerschaft konnten mir unsere Trainerinnen und Trainer ein adäquates Bild zeichnen. Welch großes Glück für uns, dass unsere Seminarleitungen in der Sommerakademie fast immer auch ehemalige Fellows sind – die wissen nämlich ganz genau, wie der Hase läuft. Und die dauernde Betreuung durch eine dieser Trainerinnen, die durch Hospitationen und Feedbackgespräche geprägt ist, ermöglichte es, sich den kritischen Teach First Deutschland-Blick zu bewahren und nicht in einen Alltagstrott hineinzugeraten.

Einige Frustmomente

Denn trotz aller Vorbereitung, aller Wertschätzung meiner Schülerinnen und Schüler, trotz meiner Kapazitäten, empathisch für die Probleme demotivierter Teenager zu sein – frei von Unzufriedenheit mit dem eigenen Verhalten oder dem der Schüler*innen waren die vergangenen beiden Jahre natürlich nicht.  Es gab einige frustrierende Momente. Etwa, wenn ich einem Kollegen dabei zusah, wie er wenig wertschätzenden Unterricht machte, aber der pädagogischen Geschlossenheit zuliebe die Balance zwischen Schüler- und Kollegennähe halten musste. Das ist mir nicht immer gelungen. Im Großen und Ganzen habe ich aber das Glück, dass die meisten Lehrkräfte an meiner Schule eine pädagogische und politische Haltung vergleichbar mit der von Teach First Deutschland einnehmen, sich gezielt eine Schule mit schwierigem Standort ausgesucht haben, wesentlich mehr arbeiten, als sie müssten, und das deutsche Bildungssystem kritisieren.

Was die Zusammenarbeit mit den im Fokus stehenden Kindern und Jugendlichen betrifft, so ist die Fellow-Rolle, wie schon im Zwischenbericht erwähnt, privilegiert. Denn sie lässt Raum für den Beziehungsaufbau, hat zumindest mir eine freie Einteilung meines Stundenplans erlaubt und dass ich aus dem Vertretungsunterricht ausgenommen war, erleichterte alles ungemein. Ich konnte mich von Anfang an auf meine Fokus-Schüler*innen konzentrieren und bekam die Möglichkeit, mein angesammeltes theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden.

Nichtsdestotrotz habe ich mich oft über meine lieben Teenies geärgert, wenn keine Lernhaltung vorhanden war, lähmende Schulmüdigkeit oder einfach Pubertät. Meine eigene, behütete, von aufmerksamen, sich sorgenden, gebildeten Eltern begleitete Kindheit lässt sich kaum vergleichen mit der Kindheit, die viele meiner Schülerinnen und Schüler erleben. Arbeitslosigkeit und Alkoholismus, Vernachlässigung, Bildungsferne oder kein deutsches Sprachvermögen, diese Probleme haben einige (ich betone: nicht alle!) Eltern an diesem Standort. Und was man als Lehrkraft an dieser Schule lernen muss, ist, sich die Erklärbarkeit des teilweise unfassbaren Verhaltens vieler immer wieder bewusst zu machen, weder in Mitleid zu verfallen noch die Schülerinnen und Schüler willkürlich zu behandeln, sondern es irgendwie zu schaffen, allen gleichermaßen Struktur zu vermitteln und das mit Wohlbefinden und Schutz zu verbinden. Nur so wird man zur einer Person, die im Sinne des Teach First Deutschland-Leadership-Gedankens wirken kann. Wer nach Abschluss des Fellow-Programms seine Einsatzschule verlässt und sich bald wieder ausschließlich mit Akademikerinnen und Akademikern umgibt, ist durch den Einsatz möglicherweise davor gewappnet, zu vergessen, wie es in der schulischen Realität häufig aussieht. Umgekehrt brauchen unsere Schüler*innen Menschen, die sich um sie Gedanken machen und wirklich ihnen zuliebe an einer Schule arbeiten.

Ich will Lehrerin sein!

Das Beste an den frustrierenden Momenten ist ja, dass ich trotz ihres Vorkommens nicht einmal an meinem Plan gezweifelt habe, an dieser Schule Lehrerin sein zu wollen. In meinem Kopf formuliere ich nonstop Antworten auf Fragen wie „Warum will ich an dieser Schule arbeiten? Warum will ich Lehrerin werden? Warum will ich von einer systemkritischen Organisation in eben dieses System, das es doch für nicht privilegierte Schüler*innen „vermasselt“, wechseln? Nun, es handelt sich schließlich um ein System, das Kritik zulässt. Das NGOs wie Teach First Deutschland erlaubt, smarte, reflektierte und professionell häufig unentschiedene Menschen mit einer offen negativen Sichtweise den Mikrokosmos Schule zu betreten und dort (in unserem Sinne) bestenfalls eine Revolution zu starten. Jetzt habe ich einen Prozess angestoßen, den will ich doch weiter begleiten!

In zwei Jahren habe ich mehr über mich und das, was ich vom Leben will, gelernt, als in sechs Jahren Studium. Dass ich Kommunikation und Interaktion in meinem Job brauche, um glücklich zu sein. Dass es einen Arbeitsplatz gibt, an dem die soziale und die fachliche Ebene so eng miteinander verzahnt sind, dass sie einander nicht nur begünstigen, sondern eigentlich voraussetzen. Dass ich Lehrerin sein will. Danke, Teach First Deutschland und danke an alle, die unsere Arbeit unterstützen.

 

 

 

 

 

Marie Cornell Zender ist Alumna der Klasse 2015. Ihre zwei Jahre als Fellow verbrachte sie an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Köln.