In Chemnitz ein Bewusstsein für Menschenrechte schaffen

Chemnitz hatte mich schon bei meiner Bewerbung als Teach First Deutschland Fellow fasziniert. Hier wollte ich hin. Wie es wohl sein würde, an solch einem politisch brisanten Ort nach August 2018 an einer Schule über Menschenrechte zu diskutieren?

Als mich meine Schulleiterin fragte, ob ich mit einigen Schülerinnen und Schülern zu der offiziellen Verlegung eines Stolpersteins in Erinnerung an eine Chemnitzer Jüdin gehen wollte, war ich sofort begeistert und sagte zu. Im Oktober hatte ich bereits Henriette Kretz als Zeitzeugin des Holocausts an meine Schule geholt. Als Journalistin war ich mit Holocaust-Überlebenden in Ausschwitz gewesen und hatte so den Kontakt hergestellt – und war wirklich aufgeregt. Holocaustüberlebende mit ihrer Lebensgeschichte sind für mich etwas ganz Besonderes. Im Musikzimmer hatten die Jugendlichen aus unseren zehnten Klassen gebannt ihren Erzählungen gelauscht – diese Aufmerksamkeit hat mich wirklich gefreut.

Meine fünf Schülerinnen und Schüler wirkten stolz, als sie die Rosen um den Stolperstein von Frau Stern legten.

Wenn junge Menschen einen Stolperstein legen

Susi, Hassan, Moritz, Ashanti und Lisa erschienen mir nun die Richtigen für die Verlegung des Stolpersteins und die Gedenkfeier zu sein. Um 8 Uhr morgens hatte ich die fünf vor das Lehrerzimmer bestellt. Ganz klar: die Biografie von Gertrud Stern, für die der Stolperstein in der Geibelstrasse 40 nahe unserer Schule verlegt werden sollte, mussten sie kennen. Begriffe wie „regimekritisch“, „Flugblätter“, „wegen Propaganda verhaftet“ und „Schutzhaft“ waren nicht sofort klar, doch gemeinsam hatten wir sie erarbeitet. Mit Rosen in der Hand machten wir uns gemeinsam auf den Weg. Dass es bei der Veranstaltung um Ehre und Respekt ging, war klar. Ich war ein wenig nervös, weil die Oberbürgermeisterin auch da war. „Nur kein falsches Kichern“, betete ich. „Alles gut, Frau Bender-Säbelkampf!“, beruhigte mich Ashanti. Ergriffen lauschte meine siebte Klasse den Worten der Feier. Sie wirkten stolz, als sie die Rosen um den Stolperstein von Frau Stern legten. Und dann auch medial der große Auftritt: Jede und jeder meiner Schülerinnen und Schüler wurde vom sächsischen Fernsehen interviewt! Hassan fand es „ganz cool“. „Denkst du, dass so etwas wieder passieren könnte?“, fragte der Journalist Lisa. „Nein, ich denke nicht, denn Deutschland ist mittlerweile ein demokratisches Land“. Ich war wirklich beeindruckt von den fünf, sie machten mich so richtig stolz.

„Denkst du, dass so etwas wieder passieren könnte?“, fragte der Journalist Lisa. „Nein, ich denke nicht, denn Deutschland ist mittlerweile ein demokratisches Land“.

Zum ersten Mal erschöpft vom Reden über Menschrechte 

Und dann war da der 10. Dezember. Der Tag der Menschenrechte – mein Herzensthema. Ich hatte eine Vision: Ich möchte in allen 23 Klassen meiner Einsatzschule ein Bewusstsein für dieses Thema schaffen. Meine Idee, wie ich das umsetzen könnte, habe ich vor dem Kollegium gepitcht und konnte tatsächlich alle überzeugen – keine Selbstverständlichkeit, zumal ich die erste Fellow an meiner Schule bin. Die erste Hürde war genommen!

Von der Schulleitung erhielt ich die Stundenpläne aller Klassen für den 10. Dezember. Alle Lehrkräfte bekamen von mir einen Zettel in ihr Fach mit den Infos zum Ablauf. Einige unterstützten mich sogar mit zusätzlichem Unterrichtsmaterial, wir sprachen alles Organisatorische ab. Viele sprachen den Gedenktag in ihrem Unterricht schon einmal an.

Und schon war es soweit: Am Tag der Menschenrechte besuchte ich jede der 23 Klassen meiner Schule. Je nach Unterrichtsfach stellte ich eine Person vor, die Besonderes geleistet hat, für ihr Lebenswerk aber ungenügend gewürdigt wurde. Ich sprach in Geschichte über Maria Volkonskaja, in Physik über Sophia Germain, in WTH (Wirtschaft, Technik, Haushalt) über Ronda Sharp. Ich verteilte Karten mit den wichtigsten Infos und einem Foto der jeweiligen Person. Erzählte, was da vor 71 Jahren am Tag der Menschenrechte eigentlich geschah. Sprach über Demokratie, Handke und den Literaturnobelpreis, Frauen in der Wissenschaft und die Gehaltsschere – schließlich starten diese jungen Menschen bald in ihr Berufsleben.

Normalerweise werde ich nicht müde, über das Thema Menschenrechte zu sprechen – nach diesem Tag war ich aber wirklich erledigt. Aber es war wunderbar. Alles lief reibungslos ab und ich bin unheimlich dankbar für dieses offene Kollegium, das mich bei der Idee so tatkräftig unterstützt hat. Die Schülerinnen und Schüler hörten zu, fragten nach, selbst an der Bushaltestelle nach Schulschluss noch. Rosa Parks – hatte die nicht auch etwas mit Martin Luther King zu tun?

Und: Ein schöner Nebeneffekt ist, dass spätestens jetzt die gesamte Schule weiß, wer ich bin, was ich hier eigentlich mache. Ich bin jetzt ganz klar „die Menschenrechtsperson“. Damit kann ich gut leben – denn deswegen bin ich hierhergekommen. Beworben hatte ich mich ganz ausdrücklich für einen Einsatz in Chemnitz. Genau hier will ich genau diese Unterhaltungen führen – und Tage wie dieser zeigen mir, dass ich wirklich etwas bewirke.

 

 

Theresa ist Fellow des Jahrgangs 2018-2020 in Chemnitz.