Eliza ist seit dem Sommer als Fellow in Bietigheim-Bissingen eingesetzt. Jeden Morgen fährt sie von Stuttgart in die Kleinstadt nördlich der Schwaben-Metropole. Sie erzählt von ihren Gedanken nach den ersten Wochen des Schuleinsatzes, von dem, was sie bewegen möchte und von Momenten der Überforderung.
Ich fahre am Sonnenaufgang entlang. Den Kaffee in der einen, Stolz und Vorurteil in der anderen Hand: Ich bin in der S5 von Stuttgart nach Bietigheim.
So sieht meine allmorgendliche Vorbereitung auf meinen Fellow-Tag aus. Ich versuche, die Ruhe vor dem Schüler*innen-Sturm zu genießen.
Denn, kaum komme ich an meiner Einsatzschule an, schallt es von überall her meinen Namen. Meistens nur, um „Guten Morgen“ zu wünschen. Manchmal aber auch, um Probleme zu lösen, bevor der Tag überhaupt angefangen hat. Anfangs fühlte ich mich in solchen Situationen hilflos. Ich kannte weder die Schüler*innen noch die Gepflogenheiten. Mittlerweile bin in der Lage, zu reagieren.
Nächste Station: Lehrerzimmer. Hier wird nicht lange gerastet, sondern es geht gleich weiter zum Kopierraum. Kopien machen in der Hoffnung, angemessene Arbeitsblätter erstellt zu haben, die den Schüler*innen auch Freude machen.
8.05 Uhr: Für mich beginnt der Schultag. Mit einer Ernüchterung. Die Schüler*innen, die Deutsch lernen, sind überfordert. Mit allem. Sodass sich eine Ich-kann-das-nicht-Mentalität in ihren Gedanken verhärtet hat, wie Beton. Ich frage mich, wie ich damit umgehen soll, fühle mich überfordert und merke ebenso gleich, dass ich dieser Überforderung nicht nachgeben darf. Meine Motivation muss stärker sein als der eben erwähnte Beton. Ich möchte, dass die Schüler*innen im Deutschen ein neues Zuhause finden können, ohne ihre Muttersprache aufgeben zu müssen.
Aber wie?
Zuerst muss ich meinen eigenen Analphabetismus für Deutsch als Zweitsprache bekämpfen. Heißt: Ich selbst muss lernen, mein Unterrichtsfach zu unterrichten. Zwar habe ich Germanistik studiert, aber aus der Vogelperspektive des Experten, der selbst die unbekannten Satzkonstruktionen kennt. Jetzt muss ich die Perspektive des Anfängers einnehmen, und die Besonderheiten der Deutschen Sprache von Grund auf neu erkunden. Mir ist gewissermaßen das Vertraute fremd geworden. So gelingt es mir, mich in meine Schüler*innen hineinzuversetzen, die ebenfalls eine neue Sprache lernen müssen. Deswegen ist „Lead by example“ mein Motto geworden, weil ich meinen Schüler*innen zeigen möchte, dass sie aus eigener Kraft Herausforderungen bewältigen können. Dazu muss ich es erstmal selbst schaffen. Daraus schöpfe ich meine Motivation in der Überforderungssituation. Das Wichtigste ist aber: nicht aufzugeben. Weitermachen, auch wenn es unmöglich scheint. Weitergehen, auch wenn der Weg nicht zu erkennen ist. Manchmal ist nämlich der Weg das wahre Ziel.
Karate für mehr Motivation und Durchhaltevermögen
Dies zu internalisieren ist mittwochs das Ziel meiner Karate-AG. Die zu erwerbende Kompetenz heißt kämpfen, gegen den übermächtigsten aller Gegner: sich selbst. Dieser Gegner kennt alle Schwachstellen genau und nutzt sie aus.
Wenn man das so schreibt, klingt es leicht. Was es aber in der Situation selbst nicht ist. Meinen Schüler*innen kann ich helfen, weil ich selbst oft in ähnlichen Situationen war. Als Migrantin kenne ich zum Beispiel die Vorurteile, die manche Mitmenschen unberechtigterweise hegen. Mir wurde in der fünften Klasse gesagt, dass ich niemals richtig Deutsch sprechen geschweige denn schreiben könne, weil ich nicht in Deutschland geboren sei. Damals fragte ich mich direkt, was meine Herkunft über meine Fähigkeiten und Zukunft aussagt und mit welchem Recht jemand so über ein Kind urteilt. Ich habe einen Weg gefunden, damit umzugehen und ich kann meinen Schüler*innen daher helfen, wie sie den richtigen Weg für sich finden.
Am Ende des Schultages, während des Wartens auf den Bus zum Bahnhof, reflektiere ich über den verstrichenen Tag. Es gab schöne Momente, zum Beispiel wenn ein Schüler erste Sätze lesen gelernt hat oder einer Schülerin Karate mehr Spaß gemacht hat als Zombiball. Es gab auch lustige Momente, wenn ein Schüler sich versprochen und gesagt hat, dass er mich liebe, obwohl er sein Lieblingsessen gemeint hat. Aber noch überwiegen die Momente des Nicht-Weiter-Wissens. Doch mit jeder Situation wächst mein Erfahrungsschatz und meine Möglichkeiten, mehr Positives zu bewirken.
Autorin: Eliza Mintcheva ist Fellow der Klasse 2017 und eingesetzt an der Schule im Sand in Bietigheim-Bissingen. Davor hat sie an der Eberhart-Karls-Universität in Tübingen ihren Master im Studiengang Deutsche Literatur gemacht. Sie stammt aus Bulgarien.