Schulgarten-Stories: Wenn Mathe haptisch wird

Miguel hasst Mathe, Lara Deutsch und Celia Bienen. Im Schulgarten sind sie alle mit ihren Abneigungen konfrontiert. Freiwillig kommen sie trotzdem jede Woche wieder und stellen sich genau den Aufgaben, die sie doch eigentlich nicht leiden können.

Als vor fast zwei Jahren das Kennenlerngespräch zwischen mir und der Schulleitung stattfand, wurde ich bereits auf den Schulgarten aufmerksam gemacht. Der Schulgarten fasst mehr als 500 m². Der Arbeit ist bisher keiner gewachsen gewesen. „Einfach machen“ endete in der Regel nur in einer Müllsammelaktion oder im wiederholten Unkrautjäten. Der Schulgarten war überwuchert mit Brennnesseln und täglich grüßte hier neuer Müll der Schüler. Es musste also eine Planung her. Die Herausforderung: Hier lauerten auch noch zukünftige Baustellen der Stadt Köln und es musste kostengünstig sein. Während der Wunsch nach Veränderungen im Schulgarten also groß war, war es auch das „Aber“ zu vielen Ideen. Was bringt es auch, wenn am Ende umgesetzte Ideen der Baustelle wieder weichen müssen?

Mit der Herausforderung auf der einen Seite und den Wünschen auf der anderen Seite machte sich meine Schulgarten-AG an Überlegungen für eine Lösung. Also schrieben die Schülerinnen und Schüler ihre und meine Ideen auf. Für jedes „Aber“, das ich wegen einer kollidierenden Herausforderung einwarf, suchten sie nach Lösungen. Dabei halfen Pinterest, Google und die Kreativität meiner inzwischen sehr engagierten Schülerinnen und Schüler. Plötzlich hatten wir eine Idee skizziert, die alle Herausforderungen beachtete. Die Idee brachte ich dann ausführlich zu Papier, rechnete sie finanziell und zeitlich durch und präsentierte sie der Schulleitung – sie war begeistert. Auch finanzielle Unterstützung fanden wir schnell. Endlich konnte eine Veränderung stattfinden!

Blumen aussähen klingt nach keiner Herausforderung: Aussähen und Pflegen funktioniert aber nicht für jede Art gleich!

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Mittlerweile ist das Unkraut systematisch gejätet und wir machen uns an Hochbeete für den einen Teil des Gartens und an eine Blumenwiese für den anderen Teil. Ein Hochbeet wird aber nicht einfach nur mit Erde aufgefüllt: Es besteht aus verschiedenen Schichten. Im Baumarkt kann man die Erde für die verschiedenen Schichten erwerben und auf dem Beutel ist sogar angegeben, wie viel von jeder Schicht ins Hochbeet muss. Klingt ja sehr leicht. Allerdings stehen die Angaben exemplarisch für ein 420 Liter Beet – unseres ist aber erheblich kleiner! Plötzlich finden sich Miguel und seine Gruppe mit Dreisatz konfrontiert. Daneben sitzen Lara und ihre Schwester und sähen Blumen aus. Blumen aussähen klingt auch nach keiner Herausforderung. Aussähen und Pflegen funktioniert aber nicht für jede Art gleich. So müssen beide die Anleitung jeder Saatpackung intensiv lesen. Über die Leseverständnis-Aufgaben aus dem Deutschunterricht und wie langweilig das ist, höre ich öfter Beschwerden. Hier beschwert sich aber keiner. Auch Miguel bleibt bei seiner Gruppe und der mathematischen Herausforderung, statt zu fragen, ob er nicht doch der anderen Gruppe helfen könne. Die heutigen Aufgaben haben sich die Schülerinnen und Schüler völlig allein ausgesucht –  zugeteilt habe ich niemanden.

Am nächsten Tag müssen wir unter anderem noch eine weitere Fläche für die Blumenwiese vorbereiten. Beim Unkrautjäten hat sich wenige Wochen zuvor herausgestellt, dass hier Wildbienen gebrütet haben und die Jungbienen und -hummeln nun allmählich den Boden verlassen. Das sorgt in dem wetterbedingt sehr trockenen Boden für viele Löcher. Celia hilft mir freiwillig, die Fläche vorzubereiten. Ich erkläre ihr dabei, was Bienen so wichtig für uns macht und warum wir ausgerechnet eine Bienenweide sähen und nicht irgendeine Blumenwiese. Plötzlich denkt sie darüber nach, dass vielleicht noch einzelne Bienen und Hummeln im Boden sein könnten und möchte darum vorsichtiger arbeiten. Auch darf der Bereich nun gerne bleiben, in dem die Bienen und Hummeln auch jetzt während der Umgestaltung Futter finden. Einen Tag zuvor wollte sie diese lieber noch verhungern lassen.

Miguel mag morgen den Matheunterricht nicht lieber als heute und auch Lara besucht den Deutschunterricht nicht mit mehr Elan. Nur wenn das nächste Mal eine Biene den Unterricht stört, mag Celia sie dann vielleicht doch lieber wieder durch das Fenster rausfliegen sehen, als gerne eine Fliegenklatsche da zu haben. Aber alle haben sich etwas bewiesen: Auch wenn sie etwas nicht leiden können – im richtigen Leben können sie es handhaben und dann ist es auch plötzlich nicht mehr so langweilig wie auf der Tafel.

 

 

 

 

 

Jacqueline, Fellows 2017
Jacqueline, Fellow der Klasse 2017.