Zurück an der Schule, doch dieses Mal auf der anderen Seite der geheimnisvollen Lehrerzimmertür. Für Nina hat vor einigen Wochen ihre zweijährige Reise an ihrer Einsatzschule begonnen. Ein Bericht über ihre ersten Wochen als Fellow.
Mein Einsatz an der Schule, den ich voller Vorfreude lange herbeigesehnt hatte, begann ganz unspektakulär – mit zwei Tagen Lehrerkonferenz. Dort fielen Wörter wie GL, FULZ, SchiLf und noch viele weitere. Bitte was? Auf Nachfragen stellte sich heraus, wofür diese Wörter oder eher Kürzel stehen: Gesellschaftslehre, Förderunterricht und Lernzeit, schulinterne Lehrerfortbildung. Zu dieser neuen Sprache kamen rund hundert Namen von Lehrerinnen und Lehrern, Sekretärinnen, den Hausmeistern, Sozialpädagogen und den Schulhunden hinzu. Kurz gesagt, war die erste Zeit geprägt von neuen Dingen und der Suche nach (räumlicher) Orientierung.
Am dritten Einsatztag war es dann endlich soweit und ich durfte meine Fokus-Klasse kennenlernen: die internationale Vorbereitungsklasse, kurz IVK, 5/6. Eine bunte Mischung aus neun- bis zwölfjährigen Schülerinnen und Schülern aus Bulgarien, Syrien, Albanien, Libyen, Nigeria, der Türkei und vielen anderen Ländern. Einige von diesen Kindern mit Fluchterfahrung haben bereits ein paar Monate oder bis zu einem Jahr eine Grundschule in Deutschland besucht und erste Deutschkenntnisse erworben. In der IVK meiner Einsatzschule sollen sie nun in einer Intensivphase ihr Deutsch in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathe, Gesellschaftslehre, Sport, Musik und Technik verbessern. Nach einigen Wochen dürfen diese Schülerinnen und Schüler dann für ein paar Stunden – je nach Deutschkenntnissen und Stundenplan – in eine fünfte Klasse – ihre Stammklassen – gehen. Bis zum Ende des Schuljahres soll dieser Anteil weiter wachsen.
Was genau mache ich als Fellow an meiner Schule?
In der ersten Zeit habe ich mich darauf konzentriert meine Fokus-Schülerinnen und -Schüler besser kennen zu lernen, ihre Deutschkenntnisse zu eruieren und eine positive Beziehung zu ihnen aufzubauen: Wer kann sich schon wie gut ausdrücken? Wie groß ist der Wortschatz? Mit wie vielen Personen sind die Schülerinnen und Schüler da? Wie lange sind sie schon in Deutschland? Wie leben sie hier? Was machen sie gerne in ihrer Freizeit? Was mögen sie gerne? Was nicht? Welche Unterstützung und auf welcher Art benötigen sie? Was sind ihre Lieblingsfächer?
Außerdem bin ich in den ersten Wochen mit vielen Kolleginnen und Kollegen mit in ihren Unterricht gegangen. Nun bin ich im Teamteaching, also als zweite Kraft im Unterricht, in den Fächern Deutsch, Mathe, Englisch in meiner Fokus-Klasse mit dabei. Dort unterstütze ich meine Schüler und Schülerinnen dabei, dem Unterricht folgen zu können, erkläre Inhalte und Wörter nochmal etwas langsamer, oder arbeite mit einer Teilgruppe, um Inhalte oder den Wortschatz noch einmal zu besprechen und zu vertiefen.
Darüber hinaus arbeite ich mit einer Teilgruppe im Fach Gesellschaftslehre und in einer extra Lern- und Förderzeit zusammen. In dieser FuLZ – also Förderunterricht und Lernzeit – können die Schülerinnen und Schüler an den Lerninhalten arbeiten. Beispielsweise erschließen sie sich in einer Art Werkstatt-Arbeit weitere Materialien zum Mathematik- und Deutschunterricht. Als Fellow bereite ich diese Materialien vor und bin vor Ort in der Rolle einer Moderatorin, die Hilfestellungen gibt und die man um Rat fragen kann. Mir geht es dabei darum, dass die Kinder lernen, Arbeitsblätter eigenständig zu lösen und dass sie Unterrichtsinhalte gemäß ihres eigenen Tempos erfassen können.
Freitags habe ich außerdem noch die AG Nachhaltiger Lebensstil, in der wir Themen wie „Was liegt da eigentlich alles auf meinem Teller und wo kommt das her?“, „Arbeiten Kinder für meine Schokolade?“, „Was hat meine Jeans eigentlich schon alles von der Welt gesehen, bevor ich sie anziehe?“ und „So viel Müll – muss das alles sofort in die Tonne?“.
Wichtig ist auch meine Rolle als Ansprechperson, ob im Unterricht oder in den Pausen: Was für einen Unterricht habe ich als Nächstes? Bin ich in meiner Stammklasse oder in der internationalen Vorbereitungsklasse? Was ist Eintopf für ein Mittagessen? Wie müssen meine Eltern diesen Antrag ausfüllen? Wie lerne ich zu Hause? Kann ich das überhaupt schaffen? Auch die anderen IVK-Lehrkräfte bekommen solche Fragen gestellt, doch ich als Fellow, die eine gewisse Portion Extrazeit hat und auch im Unterricht und in den Lernzeiten die Person ist, die alle Fragen zu lösen versucht, steht dabei besonders im Fokus.
Und wie geht es jetzt weiter?
Das System Schule ist komplex und noch immer muss ich mich darin einfinden und meine Ansichten und Ziele als Fellow damit vereinen. Doch mit einem ersten Überblick bis zu den Herbstferien kommen nun auch die ganzen tollen Ideen zu Schülerprojekten, Arbeitsgemeinschaften und Förderungsmöglichkeiten. Besonders durch die Beziehungsarbeit kann ich ganz anders auf meine Fokus-Schülerinnen und -Schüler zugehen, sie motivieren und mit ihnen gemeinsam an ihrem Glauben an sich selbst arbeiten.
Und dass der Einsatz als Fellow wirklich wichtig und effektiv ist, konnte ich bereits jetzt erfahren. Ein Schüler, der in der Grundschule als Störenfried galt und sich in den ersten Wochen oft dem Unterricht verweigerte, störte oder sogar wegblieb, ist mittlerweile wie ausgewechselt. Wie das kam? In meinem Förderunterricht habe ich erfahren, dass er Pferde liebt. Die Möglichkeit, nach einer guten Mitarbeit und getaner Arbeit weiter in seinem Pferdebuch lesen zu können, ist ein riesiger Ansporn für ihn, regelmäßig in die Schule zu kommen und sich angemessen zu verhalten. Er übernimmt inzwischen sogar Klassendienste. Ich bin überzeugt davon, dass diese positive Veränderung durch das Vertrauen, dass ich in ihn setze und durch das Interesse an seiner Person befördert wurde. Teil einer derartigen Veränderung zu sein ist die Motivation und der Grund für mich, Fellow zu sein. Denn jeder Schüler und jede Schülerin verdient es, gehört, akzeptiert und auf individuelle Weise unterstützt zu werden.
Nina-Vanessa Warnecke ist 26 Jahre alt und Kulturanthropologin. Sie ist Fellow im „wunderschönen und vielfältigen NRW“ an der Gesamtschule Weierheide in Oberhausen. Dort arbeitet sie schwerpunktmäßig mit Kindern mit Fluchterfahrung. Im TFD-Blog wird sie von ihren Erfahrungen als noch recht junger Fellow berichten.